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Das Kraftwerk in der Vitrine

Von Kata Kottra


Viele aus dem Westen würden Rudi Duschek als unbelehrbar bezeichnen. Er erlebte die gesamte DDR-Zeit. Zuletzt als SED-Parteisekretär im Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald. Fünfzehn Jahre nach der Wende hängen in seinem Kellerbüro Poster von Che Guevara. „Hasta la victoria siempre!“, „Immer bis zum Sieg!“

„Kommen Sie in diese Ecke, bei meinem Che Guevara fühle ich mich wohl“, sagt er. An der gegenüberliegenden Wand ein Wahlplakat der PDS, "Kinderland statt Vaterland". Auf einem Tisch stapeln sich Info-Broschüren zur Jugendweihe, dem ostdeutschen Ersatz zu Firmung und Konfirmation. 

Das Ende der schönen Zeit

Als junger Ingenieur arbeitete er seit 1973 im Lubminer Kernkraftwerk „Bruno Leuschner“. Aus der gesamten DDR sind damals technische Fachkräfte nach Greifswald gekommen. Sie wurden angelockt von der Aussicht auf gut bezahlte Arbeit und günstige Wohnungen. Duschek kam aus Dresden und blieb 18 Jahre im Kraftwerk. Zunächst in der Importabteilung, den Nachschub koordinieren. Dann Parteisekretär. „Es war die schönste, aufregendste und interessanteste Zeit meines Lebens“, sagt er.

Im Wendejahr 1990 werden Berichte über Störfälle und Sicherheitsmängel im Kraftwerk bekannt. Das KKW wird vom Netz genommen. Aus dem Westen kamen Experten, die das Kraftwerk untersuchten. Die „nörgelten ewig rum an der Zuverlässigkeit sowjetischer Technik“, sagt Duschek. „Für die westlichen Konzerne waren wir bloß eine Konkurrenz, die sie vom Markt haben wollte.“

Marktwirtschaft oder Pionierlager

Die Baubrigaden, mit der ständigen Erweiterung des Kraftwerkes beschäftigt, wurden abgezogen. Die Gastarbeiter kehrten größtenteils in ihre Heimatländer Ungarn und Polen zurück. 5000 Menschen arbeiteten bei der Stammbelegschaft. Bleiben durfte nur, wer für die Demontage des Kraftwerkes gebraucht wurde, nicht mehr als 1500 Menschen. Duschek gehörte nicht dazu. Die Arbeitslosenquote schnellte in Greifswald auf 16 Prozent.

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Rudi Duschek über Glück nach der Krise

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Rudi Duschek, scheiterte mit dem Versuch sich selbstständig zu machen. Er wundert sich über seine damalige Naivität. „Auch weil wir von Marktwirtschaft kaum eine tiefere Ahnung hatten.“ Er schmunzelt.

Er fand eine neue Perspektive: Als Student organisierte er Betriebs- und Pionierlager für Kinder. Aus einer Elterninitiative, die diese Tradition auch nach der Wende fortführen wollte, entstand der Kinder- und Ferienverein Greifswald. Duschek ist heute hauptamtlicher Geschäftsführer des Vereins. Jährlich fahren über 1.000 Kinder auf seine Freizeiten.

Risse im Stahl
Stolz präsentiert Hans-Georg Kantorek ein Stück aus seinem Atomkraftwerk. Foto: Kata Kottra

Ein Stück von Hans-Georg Kantoreks Atomkraftwerk steht in seiner Vitrine. Ein handtellergroßes, quadratisches Stahlstück, ausgeschnitten aus der Wand eines Kessels. Eine zentimeterdicken Schweißnaht verläuft durch die Mitte. Kantorek war 20 Jahre lang Materialprüfer im KKW Lubmin. Er untersuchte solche Nähte auf Fehler und Risse.

Zu spät für eine Bewährungschance


Kantorek erlebte ab 1962 die Pionierjahre beim Aufbau des Kraftwerkes. „Ich sah es als meine Berufung an, das Kraftwerk sicher aufzubauen und zu betreiben“, sagt er. Nach der Wende hoffte er mit der ganzen Belegschaft auf eine Fortsetzung. Kantorek, damals 62, wollte sich „unter der neuen Gesellschaftsordnung noch einmal bewähren“. Diese Chance hat er nicht bekommen.

Süßes Alter, flexible Jugend

Als das Kraftwerk seinen Betrieb einstellte, wurde Kantoreks Abteilung geschlossen von Siemens abgeworben. „Ich war natürlich zu alt, um übernommen zu werden“, sagt Kantorek ohne Resignation. Großzügige Ausgleichszahlungen versüßten vielen älteren Beschäftigten den Übergang vom Berufsleben ins Rentenalter. Jüngere Kollegen aus dem Kraftwerk traf Kantorek schon bei ihrer neuen Arbeit im Reisebüro oder beim Optiker.

O-Ton
Weshalb Hans-Georg Kantorek ohne Groll seinen Arbeitsplatz räumte

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Perspektive auf Aufschub

Das alte Foto auf dem Werksausweis von Betriebsrätin Liane Rätz zeigt sie mit halblangen braunen Haaren. Heute trägt sie ihre Haare modisch kurz und blond; ihre Haut ist solariumgebräunt. Die Betriebsrätin gehört zu den wenigen, die ihren Job behalten durften. Bis 2012 sollen die Demontage-Arbeiten am Kraftwerk abgeschlossen sein. Dann muss auch sie sich nach einer neuen Arbeit umsehen.

Viele Ingenieure und Kernkraft-Spezialisten wanderten nach der Wende in westdeutsche Kernkraftwerke ab. Andere Kollegen arbeiten in der Stadtverwaltung, wo nach der Wende viele neue Jobs entstanden. „Natürlich ist der eine oder andere auf der Strecke geblieben, aber ich gehe davon aus, dass der größte Teil der Belegschaft wieder in Lohn und Brot ist“, sagt Liane Rätz.

Selbstbewusst und unvermittelbar

Wenn die Demontage des Atomkraftwerks abgeschlossen ist, will Liane Rätz versuchen, einen Job im neu entstehenden „Synergiepark“ zu ergattern. Sollte ihr das nicht gelingen, sieht sie düster für ihre berufliche Zukunft. „Wenn ich hier aufhöre, werde ich über fünfzig sein“, sagt sie. „Da hat man doch als Frau kaum noch Chancen, vermittelt zu werden“. Andererseits traut sich Rätz durchaus zu, „auch anderswo gute Arbeit leisten zu können“. Dafür wäre sie bereit Greifswald zu verlassen – so wie mehr als 10.000 andere Menschen, die seit der Wende aus Greifswald abgewandert sind.

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Liane Rätz über den Zwang zum Aufbruch

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