ERDGESCHOSS

  UNTERWEGS IN MÜNSTERS UNTERGRUND | EIN SEMINARPROJEKT AM INSTITUT FÜR KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT | UNIVERSITÄT MÜNSTER

GRAFFITI   -01

   

HAWERKAMP  -02

   
 

FLASHMOBS  -03

     
Einmal Unterwelt und zurück

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BESTATTER  -07

   
 

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TIEFGARAGE   -09

   
 

KANALISATION  -10

   
 BUNKER  -11    
 
TEAM  -12    
 
IMPRESSUM  -13    
 
     TEXT UND BILDER: MARTHA KIFT  
         

Die orangefarbenen Kunststoffstühle mit den grünen Kopfstützen wirken fehl am Platz. Zu grell, zu bunt für diesen Ort, den man sonst nur in Lebensgefahr aufsucht. Doch sie geben dem Bunker eine fast lebendige Ausstrahlung und bilden einen Gegenpol zum nackten, kalten Beton, aus dem der Bunker gebaut ist. Die Stuhlreihen verlaufen entlang der Gänge, ein bisschen wie in der Straßenbahn. Die Gänge sind so lang, dass das Ende auf den ersten Blick nur ein verschwommener Punkt ist.

Die Stühle stammen aus den Siebzigern, doch schon während des Zweiten Weltkrieges wurde der Tiefbunker unter den Gleisen des Hauptbahnhofes Münster als Zufluchtsort genutzt. Die Stadt wurde damals fast vollständig durch Bombenangriffe zerstört, sodass viele Menschen sich in Zivilschutzanlagen, in Bunker, zurückziehen mussten.

An den Türen, die ins Innere der Anlage führen, ist so mancher bestimmt schon achtlos vorbei gelaufen. Doch nur wer genau hinsieht, entdeckt den Zugang im hinteren Bahnhofstunnel. Gegenüber den Treppen, die zu Gleis acht und neun führen, ist eine der vier Stahltüren nahtlos in die Wand eingefügt. Schon das Betreten des Bunkers ist abenteuerlich, fast wie das Betreten des Safes einer Bank: Fritz Burrichter, er ist Bunkerwart bei der Feuerwehr Münster, öffnet die dicke Außentür, die trotz ihres offensichtlichen Gewichts keinen Laut von sich gibt. Dahinter verbirgt sich eine Schleuse, in die 50 Menschen passen. Erst wenn die Außentür geschlossen ist, lässt sich die zweite, innere Tür öffnen, da beide Türen mit einer elektronischen Sperre versehen sind.
 
In den Jahren 1941 und 1942 wurde der Bunker während des gewöhnlichen Zugverkehrs erbaut. Dokumente dazu gibt es leider nicht. An den Wänden im Eingang hängen dafür viele Bau- und Lagepläne: der Bunker ist wie ein riesiges „L“ aufgebaut und birgt Platz für rund 2.000 Personen. Die Größe von 2.500 Quadratmetern ist trotz der Pläne kaum fassbar, genauso wenig die Wand- und Deckenstärke von drei Metern. Auch beim Begehen der Anlage ist es erstaunlich, wie verzweigt sie trotz des geradlinigen Aufbaus ist. Immer wieder führen weitere Türen in neue Räume: eine gute Übung für den Orientierungssinn.

Was sich sofort bemerkbar macht: es ist kalt und die feinen Härchen auf den Armen stellen sich auf. Sieben Grad Celsius ist die Durchschnittstemperatur eines Bunkers, der nicht in Betrieb ist. Kein Wunder also, dass sich die lokale Gruppe von Hobbyhistorikern „7Grad“ genannt hat. Seit nunmehr zehn Jahren beschäftigen sie sich mit solchen Untergrundbauten. „Eine Affinität zu Höhlen und ähnlichen Dingen unter der Erde hatte ich schon, als ich klein war. Das Hobby lässt mich immer wieder ein bisschen Kind sein“, erzählt Georg Sehrbrock von „7Grad“.

Weniger kindlich ist die Art und Weise, wie die Gruppe an Exkursionen herangeht. Mithilfe von Sekundärliteratur und Stadtchroniken informieren die Mitglieder sich über mögliche Bauten, bevor sie sich aufmachen, diese zu erkunden und zu dokumentieren. „Seit 2002 haben wir auch unsere eigene Website, damit andere an unseren Exkursionen teilhaben können. Uns war wichtig, dass der Umgang mit den unterirdischen Anlagen etwas professioneller wird“, so Sehrbrock. In Münster sind die Mitglieder von „7Grad“ Experten zum Thema Bunker. Auf der Homepage finden Interessierte – neben Fotos und Berichten unter anderem den „Bunkerknigge“, dessen zentrale Aussagen Sehrbrock zusammenfasst: „Lass nichts da als Fußspuren und nimm nichts mit außer Fotos und Eindrücken.“ So hausen in vielen unterirdischen Bauten zum Beispiel Fledermäuse, die durch Rauch von Fackeln gestört werden könnten und generell besser in Ruhe gelassen werden sollten.

Über Fledermäuse muss man sich unter dem Hauptbahnhof keine Sorgen machen, denn der Tiefbunker wird regelmäßig begangen und gewartet. Einmal in der Woche schaut sich Bunkerwart Burrichter die verzweigte Anlage an. Er prüft unter anderem, ob die Wasser-, Strom- und Luftversorgung funktionieren. Wasser und Strom werden zunächst von der Stadt bezogen, sollte die Versorgung jedoch ausfallen, gibt es Alternativen. Zwei Notstromaggregate erzeugen 200 Kilowatt Strom, außerdem gibt es ein kleineres Aggregat mit 80 Kilowatt Leistung. Die Wasserversorgung läuft zur Not auch über eigene Brunnen: von insgesamt vier Brunnen kann das Wasser über Rohrleitungen in den Bunker gepumpt werden.

Neben Wasser und Strom wäre in einer Notsituation natürlich eines noch lebenswichtiger: die Luft. Über ein weit verzweigtes Lüftungssystem zirkuliert sie durch alle Räume, dabei beträgt der Luftwechsel neun Kubikmeter pro Stunde und Person. Sollte es draußen zu Angriffen mit Giftgas kommen, würden kurzfristig Aktivkohlefilter eingebaut, um die Giftstoffe zu absorbieren. Diese Filter lagern seit den Siebzigern in einem Nebenraum, werden aber regelmäßig vom TÜV geprüft, um ihre Einsatzfähigkeit zu gewährleisten. Der Zivilschutzbunker könnte so während einer Katastrophe 14 Tage lang als autarkes System bestehen. Vorausgesetzt, die Aggregate sowie Luft- und Wasserversorgung funktionieren einwandfrei und genug Nahrungsmittel sind vorhanden. Dafür gibt es eine vorgefertigte Einkaufsliste, die in einem Ordner bei der Feuerwehr sicher verwahrt liegt. Für einen kurzen Aufenthalt könne man innerhalb einer Woche von einem Großhändler die notwendigen Dinge besorgen; für eine vollbesetzte Anlage Lebensmittel und andere wichtige Dinge zu beschaffen, würde allerdings fast ein Jahr dauern – bei einem Überraschungsangriff wäre dies daher unmöglich.

Dass man den Bunker für einen Kriegsfall noch einmal in Betrieb nehmen müsste, will Bernhard Wessels von der Feuerwehr Münster nicht hoffen, allerdings gab es auch in der jüngsten Vergangenheit Anlässe, die eine Öffnung erforderlich machten. Als im Dezember 2005 aufgrund des Schneechaos im Münsterland Züge nicht mehr fuhren, konnten die in Münster gestrandeten Menschen Zuflucht im Bunker unter dem Hauptbahnhof finden. Sämtliche Hotels waren schon voll ausgelastet, daher kam der Bunker als kurzzeitiger Aufenthaltsort sehr gelegen. In die weißen, papierartigen Decken eingemummt, rieben sich etliche Männer, Frauen und Kinder die Hände an warmen Getränken und konnten sich dort aufwärmen und ausruhen.

„Gerade bei Naturkatastrophen ist das Bewusstsein der Bürger geschärft und wir bekommen hier bei der Feuerwehr viele Anfragen, was für Schutzanlagen es in Münster gibt“, stellt Wessels fest. In der Tat gibt es in Münster neun Anlagen: zwei Tiefbunker, drei Mehrzweckanlagen – wie die
Tiefgarage am Aegidiimarkt  –  drei Hochbunker und einen Schulschutzkeller. Allerdings könnten bei voller Auslastung aller Anlagen trotzdem maximal zehn Prozent der Bürger Schutz finden.

Das Interesse an den Bunkern ist aber auch sonst vorhanden, dies zeigt unter anderem die Nachfrage nach Führungen durch den Bahnhofsbunker. Manchmal sind es Schulklassen, die gerade den Zweiten Weltkrieg behandeln und ein Stück lokale Geschichte erkunden wollen, manchmal sind es touristische Reisegruppen und vereinzelt eben auch historisch Interessierte wie die Truppe von „7Grad“. Vor allem, da es sich um die jüngere Vergangenheit handelt, ist das Thema für sie spannend. Und da die letzten Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg weniger werden, sind stumme Zeitzeugen wie Tiefbunker wichtig, um die Geschichte nicht zu vergessen und aufzuarbeiten. Hoffnung auf große Funde macht sich die Truppe von „7Grad“ nicht: „Man wird eigentlich nie der erste sein, der diese Anlagen nach dem Krieg betritt“, weiß Sehrbrock. Trotzdem kann es sein, dass die Gruppe zum Beispiel auf munitionsverseuchte Anlagen trifft. In diesem Fall heißt es, sich zurückzuziehen und die Sprengschutzexperten ihre Arbeit machen lassen.

Generell gehen die Mitglieder von „7Grad“ nicht ohne geeignete Sicherheitskleidung, Helm und Lampe auf Entdeckungstour. Außerdem gibt es immer jemanden, der draußen wartet und in einem Notfall Hilfe holen kann. Unsichere Objekte werden ohnehin nicht erkundet – das eigene Leben steht immer über dem Drang nach Abenteuer; letztlich handelt es sich bei der Erforschung unterirdischer Anlagen eben nur um ein Hobby.
 
Nicht nur ein Hobby ist hingegen die Arbeit der Bunkerwarte Wessels und Burrichter. Sie hegen und pflegen im Auftrag der Stadt die diversen Zivilschutzanlagen in Münster. Nach seinem wöchentlichen Rundgang macht Burrichter das Licht aus und schließt die schwere Stahltür. Seine Arbeit ist für heute getan. In Zukunft wird er sich vielleicht nicht mehr um den Bahnhofsbunker kümmern müssen: Es handelt sich um eine Anlage des Bundes und dieser spart überall. Da ein akuter Kriegsfall für unwahrscheinlich gehalten wird, laufen inzwischen Bestrebungen, Bunker langsam aber sicher zurückzubauen – das Licht unter dem Bahnhof könnte also bald für immer ausgehen.



Diese unscheinbare Tür unter dem Hauptbahnhof verbirgt den Zugang zur 2.500 Quadratmeter großen Bunkeranlage




Die Stuhlreihen scheinen kein Ende zu nehmen

 

 
     
   


 

 

 

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