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Die orangefarbenen
Kunststoffstühle mit den grünen Kopfstützen wirken fehl am Platz. Zu grell,
zu bunt für diesen Ort, den man sonst nur in Lebensgefahr aufsucht. Doch sie
geben dem Bunker eine fast lebendige Ausstrahlung und bilden einen Gegenpol
zum nackten, kalten Beton, aus dem der Bunker gebaut ist. Die Stuhlreihen
verlaufen entlang der Gänge, ein bisschen wie in der Straßenbahn. Die Gänge
sind so lang, dass das Ende auf den ersten Blick nur ein verschwommener
Punkt ist.
Die Stühle stammen aus den Siebzigern, doch schon während des Zweiten
Weltkrieges wurde der Tiefbunker unter den Gleisen des Hauptbahnhofes
Münster als Zufluchtsort genutzt. Die Stadt wurde damals fast vollständig
durch Bombenangriffe zerstört, sodass viele Menschen sich in
Zivilschutzanlagen, in Bunker, zurückziehen mussten.
An den Türen, die ins Innere der Anlage führen, ist so mancher bestimmt
schon achtlos vorbei gelaufen. Doch nur wer genau hinsieht, entdeckt den
Zugang im hinteren Bahnhofstunnel. Gegenüber den Treppen, die zu Gleis acht
und neun führen, ist eine der vier Stahltüren nahtlos in die Wand eingefügt.
Schon das Betreten des Bunkers ist abenteuerlich, fast wie das Betreten des
Safes einer Bank: Fritz Burrichter, er ist Bunkerwart bei der Feuerwehr
Münster, öffnet die dicke Außentür, die trotz ihres offensichtlichen
Gewichts keinen Laut von sich gibt. Dahinter verbirgt sich eine Schleuse, in
die 50 Menschen passen. Erst wenn die Außentür geschlossen ist, lässt sich
die zweite, innere Tür öffnen, da beide Türen mit einer elektronischen
Sperre versehen sind.
In den Jahren 1941 und 1942 wurde der Bunker während des gewöhnlichen
Zugverkehrs erbaut. Dokumente dazu gibt es leider nicht. An den Wänden im
Eingang hängen dafür viele Bau- und Lagepläne: der Bunker ist wie ein
riesiges „L“ aufgebaut und birgt Platz für rund 2.000 Personen. Die Größe
von 2.500 Quadratmetern ist trotz der Pläne kaum fassbar, genauso wenig die
Wand- und Deckenstärke von drei Metern. Auch beim Begehen der Anlage ist es
erstaunlich, wie verzweigt sie trotz des geradlinigen Aufbaus ist. Immer
wieder führen weitere Türen in neue Räume: eine gute Übung für den
Orientierungssinn.
Was sich sofort bemerkbar macht: es ist kalt und die feinen Härchen auf den
Armen stellen sich auf. Sieben Grad Celsius ist die Durchschnittstemperatur
eines Bunkers, der nicht in Betrieb ist. Kein Wunder also, dass sich die
lokale Gruppe von Hobbyhistorikern „7Grad“ genannt hat. Seit nunmehr zehn
Jahren beschäftigen sie sich mit solchen Untergrundbauten. „Eine Affinität
zu Höhlen und ähnlichen Dingen unter der Erde hatte ich schon, als ich klein
war. Das Hobby lässt mich immer wieder ein bisschen Kind sein“, erzählt
Georg Sehrbrock von „7Grad“.
Weniger kindlich ist die Art und Weise, wie die Gruppe an Exkursionen
herangeht. Mithilfe von Sekundärliteratur und Stadtchroniken informieren die
Mitglieder sich über mögliche Bauten, bevor sie sich aufmachen, diese zu
erkunden und zu dokumentieren. „Seit 2002 haben wir auch unsere eigene
Website, damit andere an unseren Exkursionen teilhaben können. Uns war
wichtig, dass der Umgang mit den unterirdischen Anlagen etwas professioneller
wird“, so Sehrbrock. In Münster sind die Mitglieder von „7Grad“ Experten zum
Thema Bunker. Auf der Homepage finden Interessierte
– neben Fotos und Berichten
– unter anderem den „Bunkerknigge“,
dessen zentrale Aussagen Sehrbrock zusammenfasst: „Lass nichts da als
Fußspuren und nimm nichts mit außer Fotos und Eindrücken.“ So hausen in
vielen unterirdischen Bauten zum Beispiel Fledermäuse, die durch Rauch von
Fackeln gestört werden könnten und generell besser in Ruhe gelassen werden
sollten.
Über Fledermäuse muss man sich unter dem Hauptbahnhof keine Sorgen machen,
denn der Tiefbunker wird regelmäßig begangen und gewartet. Einmal in der
Woche schaut sich Bunkerwart Burrichter die verzweigte Anlage an. Er prüft
unter anderem, ob die Wasser-, Strom- und Luftversorgung funktionieren.
Wasser und Strom werden zunächst von der Stadt bezogen, sollte die
Versorgung jedoch ausfallen, gibt es Alternativen. Zwei Notstromaggregate
erzeugen 200 Kilowatt Strom, außerdem gibt es ein kleineres Aggregat mit 80
Kilowatt Leistung. Die Wasserversorgung läuft zur Not auch über eigene
Brunnen: von insgesamt vier Brunnen kann das Wasser über Rohrleitungen in
den Bunker gepumpt werden.
Neben Wasser und Strom wäre in einer Notsituation natürlich eines noch
lebenswichtiger: die Luft. Über ein weit verzweigtes Lüftungssystem
zirkuliert sie durch alle Räume, dabei beträgt der Luftwechsel neun
Kubikmeter pro Stunde und Person. Sollte es draußen zu Angriffen mit Giftgas
kommen, würden kurzfristig Aktivkohlefilter eingebaut, um die Giftstoffe zu
absorbieren. Diese Filter lagern seit den Siebzigern in einem Nebenraum,
werden aber regelmäßig vom TÜV geprüft, um ihre Einsatzfähigkeit zu
gewährleisten. Der Zivilschutzbunker könnte so während einer Katastrophe 14
Tage lang als autarkes System bestehen. Vorausgesetzt, die Aggregate sowie
Luft- und Wasserversorgung funktionieren einwandfrei und genug
Nahrungsmittel sind vorhanden. Dafür gibt es eine vorgefertigte
Einkaufsliste, die in einem Ordner bei der Feuerwehr sicher verwahrt liegt.
Für einen kurzen Aufenthalt könne man innerhalb einer Woche von einem
Großhändler die notwendigen Dinge besorgen; für eine vollbesetzte Anlage
Lebensmittel und andere wichtige Dinge zu beschaffen, würde allerdings fast
ein Jahr dauern – bei einem Überraschungsangriff wäre dies daher unmöglich.
Dass man den Bunker für einen Kriegsfall noch einmal in Betrieb nehmen
müsste, will Bernhard Wessels von der Feuerwehr Münster nicht hoffen,
allerdings gab es auch in der jüngsten Vergangenheit Anlässe, die eine
Öffnung erforderlich machten. Als im Dezember 2005 aufgrund des Schneechaos
im Münsterland Züge nicht mehr fuhren, konnten die in Münster gestrandeten
Menschen Zuflucht im Bunker unter dem Hauptbahnhof finden. Sämtliche Hotels
waren schon voll ausgelastet, daher kam der Bunker als kurzzeitiger
Aufenthaltsort sehr gelegen. In die weißen, papierartigen Decken eingemummt,
rieben sich etliche Männer, Frauen und Kinder die Hände an warmen Getränken
und konnten sich dort aufwärmen und ausruhen.
„Gerade bei Naturkatastrophen ist das Bewusstsein der Bürger geschärft und
wir bekommen hier bei der Feuerwehr viele Anfragen, was für Schutzanlagen es
in Münster gibt“, stellt Wessels fest. In der Tat gibt es in Münster neun
Anlagen: zwei Tiefbunker, drei Mehrzweckanlagen – wie die
Tiefgarage
am Aegidiimarkt – drei Hochbunker und einen
Schulschutzkeller. Allerdings könnten bei voller Auslastung aller Anlagen
trotzdem maximal zehn Prozent der Bürger Schutz finden.
Das Interesse an den Bunkern ist aber auch sonst vorhanden, dies zeigt unter
anderem die Nachfrage nach Führungen durch den Bahnhofsbunker. Manchmal sind
es Schulklassen, die gerade den Zweiten Weltkrieg behandeln und ein Stück
lokale Geschichte erkunden wollen, manchmal sind es touristische
Reisegruppen und vereinzelt eben auch historisch Interessierte wie die
Truppe von „7Grad“. Vor allem, da es sich um die jüngere Vergangenheit
handelt, ist das Thema für sie spannend. Und da die letzten Zeitzeugen aus
dem Zweiten Weltkrieg weniger werden, sind stumme Zeitzeugen wie Tiefbunker
wichtig, um die Geschichte nicht zu vergessen und aufzuarbeiten.
Hoffnung auf große Funde macht sich die Truppe von „7Grad“ nicht: „Man wird
eigentlich nie der erste sein, der diese Anlagen nach dem Krieg betritt“,
weiß Sehrbrock. Trotzdem kann es sein, dass die Gruppe zum Beispiel auf
munitionsverseuchte Anlagen trifft. In diesem Fall heißt es, sich
zurückzuziehen und die Sprengschutzexperten ihre Arbeit machen lassen.
Generell gehen die Mitglieder von „7Grad“ nicht ohne geeignete
Sicherheitskleidung, Helm und Lampe auf Entdeckungstour. Außerdem gibt es
immer jemanden, der draußen wartet und in einem Notfall Hilfe holen kann.
Unsichere Objekte werden ohnehin nicht erkundet – das eigene Leben steht
immer über dem Drang nach Abenteuer; letztlich handelt es sich bei der
Erforschung unterirdischer Anlagen eben nur um ein Hobby.
Nicht nur ein Hobby ist hingegen die Arbeit der Bunkerwarte Wessels und
Burrichter. Sie hegen und pflegen im Auftrag der Stadt die diversen
Zivilschutzanlagen in Münster. Nach seinem wöchentlichen Rundgang macht
Burrichter das Licht aus und schließt die schwere Stahltür. Seine Arbeit ist
für heute getan. In Zukunft wird er sich vielleicht nicht mehr um den
Bahnhofsbunker kümmern müssen: Es handelt sich um eine Anlage des Bundes und
dieser spart überall. Da ein akuter Kriegsfall für unwahrscheinlich gehalten
wird, laufen inzwischen Bestrebungen, Bunker langsam aber sicher
zurückzubauen – das Licht unter dem Bahnhof könnte also bald für immer
ausgehen. |
Diese unscheinbare Tür
unter dem Hauptbahnhof verbirgt den Zugang zur 2.500 Quadratmeter großen
Bunkeranlage
Die Stuhlreihen scheinen kein Ende zu nehmen
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