Es ist ein sonniger
Sommernachmittag in Münster, kurz vor 17 Uhr. Hunderte Menschen kommen
gerade von der Arbeit und wollen ihren Feierabend genießen. Viele von ihnen
sind mit dem Auto unterwegs nach Hause und müssen auf ihrem Weg durch den
Ludgerikreisel, einen der größten Kreisverkehre von Münster. Klar, da kann es schon mal voll werden. Aber man braucht
meistens nur ein bisschen Geduld – kurz
warten, ein paar mal hupen und nach einer Minute ist man durch. Zumindest
ist das sonst so. Heute ist es anders. Irgendetwas liegt in der Luft. Man
hat das Gefühl, dass es ruhiger ist als sonst. Nur gute Beobachter oder
Eingeweihte können die Stativ-Kameras erspähen, die in den Fenstern der
umliegenden Hochhäuser aufgestellt worden sind. Dann ist es soweit. Um Punkt
17 Uhr ertönt eine Signalhupeund dann kommen die
Fahrräder.
Aus jeder
Einfahrt des Kreisels fährt eine Meute von jungen Leuten, scheinbar
unbeteiligt, aber dennoch sehr zielstrebig und forsch in den Kreisel, um
darin wie selbstverständlich Runden zu drehen. Binnen weniger Sekunden
füllt sich der gesamte Kreisel mit rund 300 Leezen
– so heißen in Münster
die Fahrräder. Und dennoch, von Chaos keine Spur. Die Autos im Kreisel sind
gefangen. Es gibt keinen Ausweg für sie, ohne einen Unfall zu provozieren. Der
Verkehr auf den fünf Zufahrtsstraßen beginnt sich zu stauen, aber auch hier
besteht keine Chance auf ein Durchkommen. Dennoch wirkt alles sehr
gemütlich. Das Hupen des Feierabendverkehrs ist verstummt. Autofahrer und
Passanten bestaunen ungläubig die Szenerie. Die Radler drehen in aller Ruhe
ihre Kreise. Blickt man ihnen in die Gesichter, merkt man nichts von der
Anspannung und Vorfreude, mit der sie dieser Aktion entgegengefiebert
haben. Betont lässig fahren sie zu Hunderten ganz gemächlich ihre Runden.
Und dann, nach einigen Minuten der vollkommenen Verkehrsblockade,
verschwinden die Radfahrer wie auf ein stummes Zeichen wieder. Alle
gleichzeitig, alle in verschiedene Richtungen. Innerhalb weniger Sekunden
ist der Kreisel wieder in der Hand der verdutzten Autofahrer.
„Eine
Superaktion! Das war ein Flashmob von seiner besten Seite“ freut sich Leo.
Er studiert Medizin in Münster, ist 22 Jahre alt und einer der
Initiatoren der Aktion. Die Idee, einen Flashmob im größten Kreisverkehr
Münsters zu organisieren, ist ihm zusammen mit einem Freund auf einer Party
gekommen. Gehört hat er schon vorher von solchen Aktionen, aber dass er
selbst ein derartiges Event organisieren könnte, damit hatte er vor einigen
Wochen noch nicht gerechnet. „Es war eigentlich ganz einfach. Wir hatten die
Idee, haben eine Studi-VZ-Gruppe gegründet und in wenigen Wochen per Mund-
oder besser per Internetpropaganda über 100 Leute zusammen gehabt.“ Das
Studi-VZ ist eine deutsche Internet-Community, in der Studenten und junge
Leute Kontakte knüpfen und pflegen können.
Damit
beschreibt er ein wesentliches Merkmal der Flashmob-Bewegung. Die
Organisation basiert auf moderner Technik. Ob über Mobiltelefone oder im
Internet – ohne Technik wäre es nicht möglich, Menschenmassen so
schnell und so präzise zu koordinieren, wie es der Grundgedanke des
Flashmobs beinhaltet. Ein Flashmob (Flash=Blitz; Mob=Menschenauflauf
oder lat. Mobilis=beweglich) ist eineMenschenmenge, die
versucht, möglichst spontan und überraschend aus dem Nichts aufzukreuzen, um
dann gemeinschaftlich vorher digital abgesprochene, meist völlig sinnfrei
erscheinende Dinge zu tun und anschließend genauso schnell wieder zu verschwinden. Das neue „Gesellschaftsspiel“ erfreut sich weltweit
wachsender Begeisterung. Jung und alt finden sich zu den merkwürdigsten
Aktionen zusammen und schaffen eine stetig wachsende Bewegung mit
revolutionärem Grundgedanken und einem großen Potenzial.
Von revolutionärem
Gedankengut oder gar politischen Hintergründen der Flashmob-Bewegung war zu
Beginn jedoch keine Rede. Der als Erfinder des Flashmobs geltende amerikanische
Journalist Bill Wasik initiierte im Jahr 2003 in einem New Yorker Kaufhaus
einen Menschenauflauf, der sich gemeinschaftlich um einen Teppich scharte.
Die Teilnehmer sagten dem Kaufhauspersonal, dass man sich einen
„Liebes-Teppich“ kaufen wolle und die Entscheidung nur zusammen fällen
könne.
Auch der
Münsteraner Flashmobber Leo hat nur den Spaß im Kopf. „Es ist einfach geil,
sich die Leute anzugucken. Die sind so überrascht und wissen meist überhaupt
nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Ich habe schon die
herrlichsten Gesichter beim Flashmobben gesehen und bekomme regelrechte
Lachattacken.“
Eine solche
Lachattacke konnte er sich bei der jüngsten Aktion zum Glück verkneifen. Am
7. Juni musste er bei einer Aktion in den „Münster-Arkaden“ für eine Minute
absolut still stehen. Den
YouTube-Suchergebnissen zufolge ist die „Freeze“-Aktion die populärste
Flashmob-Aktion weltweit. Hierbei mischen sich zahlreiche Flashmobber an
einem stark frequentierten öffentlichen Platz unter die Leute und erstarren
zu einem bestimmten Zeitpunkt mitten in ihrer Bewegung. Besonders spektakulär
klappte das Anfang des Jahres, als in der Grand Central Station, New Yorks
Hauptbahnhof in Manhatten, rund 200 Menschen in der Halle erstarrten. Diese Aktion war eine
von mehreren, die der „ImprovEverywhere“-Gruppe weltweite Aufmerksamkeit schenkte – zumindest im Internet. Auf
der
Websitewww.improveverywhere.com
sind zahlreiche spektakuläre Aktionen zu bestaunen, getreu dem Motto „We cause scenes“. Auch diese Gruppe gibt als
Motivation den organisierten Spaß an.
Die
Aktion in den „Münster-Arkaden“ war ein Selbstläufer. Genau wie Leo hatte
Christian auf einer Party die Bier-Idee, einmal selbst einen Flashmob zu
organisieren. Da der 34-Jährige Erfahrungen mit Webdesign hatte, war die
passende Internetpräsenz flashmob-ms.de
schnell online gestellt. „Ich habe fünf, vielleicht zehn Freunden Bescheid
gesagt, dass sie das Ganze weitersagen und mitmachen sollten. Eine Woche
später ist die Sache dann total ausgeartet.“ Anfang Juni stellte Christian
seine Seite ins Netz und legt die Aktion auf den 7. Juni fest. Innerhalb
einer Woche kamen 4.500 Besucher auf seine Seite – am Tag vor der Aktion
waren es alleine 1.300. „Ich hatte ein bisschen Angst. Ich wusste ja nicht,
was mich da in den Arkaden erwartet. Was ist denn los, wenn da plötzlich 1.000 Menschen hinkommen? Dann steht ja immer noch mein Name auf der
Website!“ Das Sicherheitspersonal hatte Christian vorher eingeweiht. Mehr
konnte auch er nicht mehr tun. „Die Aktion selbst verlief eigentlich ganz
gut – die Leute sind zwar nicht alle gleichzeitig erstarrt, weil irgendwann
einfach jemand gepfiffen hat. Und das Ende war auch nicht gleichzeitig –
einige Flashmobber haben sogar geklatscht.“
Abschließendes Klatschen nimmt
der Aktion viel Wind aus den Segeln. Das geheimnisvolle Etwas, das sich
vorher entfaltet, wird dann einfach wegapplaudiert. Trotzdem ist Christian sehr
zufrieden mit der Aktion. Es hat Spaß gemacht. Und am Ende waren es doch
keine 1.000, sondern nur ca. 150 Menschen. Als Motiv sieht Christian
ebenfalls den Spaß an der Sache. „Dass das Volk immer noch aufstehen und
sich bewegen kann“ erfreut ihn, wie er im Interview für die Westfälischen
Nachrichten anschließend sagt.
Erneut nach
seinen Beweggründen gefragt, sagt Leo, dass es natürlich in erster Linie der
Spaß sei, der ihn antreibe. Ihn fasziniere aber auch, dass man einander völlig fremde Menschen
für eine gemeinsame Aktion organisieren kann. Vom Miteinander- und
Gruppengefühl will er dagegen nichts wissen. „Während einer Aktion redest du
nicht mit anderen. Ich bin mit 300 Leuten durch den Ludgerikreisel gefahren
und kannte niemanden. Mal ein Lächeln vom Nebenmann, aber das war's dann
auch. Nach ein paar Minuten gehen alle wieder ihrer Wege und man sieht sich
vielleicht nie wieder.“
Nach seiner
Vorstellung vom ultimativen Flashmob gefragt erinnert er sich an eine Aktion
der US-Musikband Blink 182, die vor einiger Zeit 10.000 US-Dollar gesammelt und damit
einen Obdachlosen überrascht hat. Der Mann wurde in ein Luxus-Restaurant
ausgeführt, mit Designer-Kleidung ausgestattet und anschließend bekam er
sogar noch ein Auto. Das restliche Geld durfte er auch behalten.
Mit solchen
Aktionen, sagt Leo, kann man Flashmobs auf ein anderes Level
heben. Wenn in Berlin 10.355 Leute einen Euro geben und sich alle einen
Cheeseburger dafür kaufen, warum sollte man mit diesem Geld nicht auch etwas
Sinnvolles
anstellen. Man könnte bedürftigen Leuten Essen verschaffen, man
könnte ganze Häuser bauen. Wenn man die Energie und das Geld, das die
Menschen in Flashmobs investieren, in die richtigen Bahnen lenkt, dann kann man
damit wirklich etwas bewegen.
Einen Namen
gibt es für diese Art von Flashmob auch schon: Smart Mob. Laut
Netztheoretiker Howard Rheingold
ermöglicht die mobile Technik neue Formen sozialer Organisation, wie sie in
Flashmobs zum Ausdruck kommen. Er hält dies für eine Revolution. Der Trend, Online-Communities
wie Facebook oder Studi-VZ zu nutzen, um nicht-virtuelle Aktivitäten zu
organisieren, ist aus seiner Sicht demnach erst der Anfang. Aktionen bei denen sich eine Gruppe Menschen vereint, die sich
vorher nur aus dem Internet kennt, werden laut Rheingold an Zahl und
Einfluss erheblich zunehmen.
Die Idee der
intelligent organisierten Menschenmassen gefällt sowohl Leo als auch
Christian. Noch halten beide die Bewegung allerdings für zu verspielt. Die
Menschen müssen sich erst einmal mit dem Flashmob-Gedanken anfreunden, bevor das ganze eine Stufe weiter
gehen kann. Zuerst steht eben der Spaß im Vordergrund.
Doch was
passiert, wenn aus Spaß Ernst wird? Sind Menschenmassen, die
beispielsweise den Verkehr blockieren, legal? Eine wirklich klare Antwort
darauf scheint es nicht zu geben. In Köln wurden im April diesen Jahres bei einer
spontanen Verkehrsblockade gegen einige Teilnehmer Strafverfahren wegen
Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Etwa
1.000 Menschen hatten sich auf dem Kölner Ring zusammengefunden und
teilweise auf mitgebrachten Sofas und Liegestühlen mit einer Sitzblockade
begonnen, die
den Kölner Verkehr stundenlang erheblich behinderte. Wann das
Versammlungsgesetz greift, ist allerdings strittig. Gerade der Paragraph
„Spontan-Demonstrationen“ besagt, dass eine Demonstration nicht
anmeldepflichtig ist, wenn sie spontan einberufen wird und keinen
verantwortlichen Leiter hat.
Aber auch
innerhalb der Grenzen des Gesetzes lauern Gefahren. Große Angst
hat Christian davor, dass sich die falschen Leute an die Spitze von
Flashmobs stellen könnten. Leute, die reden können und die manipulieren
wollen. „Theoretisch habe ich
als Organisator die politischen Fäden dieser Freeze-Aktion in der Hand“ sagt Christian am Ende unseres Gesprächs. „Fakt ist: Ich organisiere das Ding
– es kommen
100 Leute und am Ende sage ich den Fernsehleuten, dass die ganze Aktion
beispielsweise
unter dem Motto 'Verschärfung der Abschiebungsgesetze' stand. Dann haben die
100 Leute für mich unterschrieben – ohne
das zu wissen oder zu wollen.“