ERDGESCHOSS

  UNTERWEGS IN MÜNSTERS UNTERGRUND | EIN SEMINARPROJEKT AM INSTITUT FÜR KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT | UNIVERSITÄT MÜNSTER

GRAFFITI   -01

   

HAWERKAMP  -02

   
 

FLASHMOBS  -03

     
Manche nennen es Musik

 KELLERBANDS  -04

   

AASEE  -05

     

RADSTATION  -06

     
 

BESTATTER  -07

   
 

TRESORRAUM  -08

   
 

TIEFGARAGE   -09

   
 

KANALISATION  -10

   
BUNKER  -11      
 
TEAM  -12    
 
IMPRESSUM  -13    
 
     TEXT UND BILDER: MARKUS DICHMANN  
         

Die Luft knistert, elektrisiert wie vor einem Gewitter. Der dunkle Teppich gibt unter den Füßen nach und aus den Abdrücken erheben sich graue Staubwolken. Grüne Veloursmatten, wie vom Billardtisch gerissen, hängen an den Wänden, dazwischen liegen Eierkartons. Am Boden aufgeschlagene Skizzenbücher, gerissene Saiten, zersplitterte Drumsticks. Das einzige Licht spendet eine matte Glühbirne an der Decke. Zuerst ist da nur ein leichtes Knacken in den Ohren, gefolgt von einem tiefen Brummen in der Magengegend. Die Nackenhaare stellen sich auf und das anfangs fast unmerkliche Surren im Gehörgang wird immer lauter. Das Schwingen der Gitarrensaiten erfüllt den Raum. Gerade noch kann man den Schauer von Vorfreude spüren, bevor die Basedrum mit einem Donnerschlag den Startschuss für die Schlagseite gibt: Sanktuarium Proberaum.

Krachende Riffs, schallende Becken und tiefe Bässe sind der Traum vieler Nachwuchsrocker, die ihre Musik gerne fernab nörgelnder Nachbarn und Mittagsruhe üben und präsentieren möchten. Doch das der Rockmusik angeborene Problem ist, um Farin Urlaub von den Ärzten zu zitieren: „Manche nennen es Musik, doch für die meisten ist es Krach.“ Deshalb muss ausgewichen werden. Unter Tage wird musiziert. Der Bandkeller ist für viele Bands ein Refugium, ein Ort von Inspiration und Freiheit. Nur hier können neue Songs probiert, einstudiert und verfeinert werden und nur hier kann eine Band ihren eigenen Stil finden. Für die Beatles, Metallica, Die Ärzte und die örtliche Vorstadtband gilt gleichermaßen: Jeder muss klein im Kellerloch anfangen und sich seinen Weg ans Licht spielen.

Doch verdreckte Bandkeller und „Sex, Drugs an' Rock 'n' Roll“ im platten Westfalen? Passt gesellschaftlich und musikalisch lautstarker Protest in die Münsteraner Idylle? Zugegeben, Münster ist nicht das London der 70er Jahre, man findet hier auf den ersten Blick keine Sex Pistols oder The Clash. Doch abseits vom Schlossgarten oder dem eher gemütlichen Stadtfest gibt es eine belebte Indie-Szene, die ihren Ursprung in Münsters studentischem Charakter hat und ein großes musikalisches Spektrum abbildet. Folk, Country und Britrock haben hier ebenso ihren Platz wie Metal, Crossover und Punk. Diese große und aktive Szene buhlt natürlich untereinander um Platz und Aufmerksamkeit, sprich Auftritte, Proberäume und auch Musiker.

Ausdruck dessen ist die Internetplattform
muensterbandnetz.de. Hier können sich Bands aus Münster und Umgebung organisieren und auch vermarkten. 2002 wurde das Netz von der Musik-Initiative des Jugendinformations- und beratungszentrums der Stadt Münster (Jib) ins Leben gerufen. Hinter der Initiative verbirgt sich die Zusammenarbeit von elf Bands, die gemeinsam die Proberäume unterhalb des Gleis 22 mieten, das ebenfalls Teil des Jib ist. „Ziel war es, den jungen Musikern aus dem Münsterland Präsentationsmöglichkeiten für sich und ihre Musik zu bieten“, erklärt Bernd Moorkamp, der für Idee und Konzept verantwortlich ist. Die Bands können sich online porträtieren, Links zu ihren eigenen Websites legen, ihre nächsten Auftritte bewerben und über Foren und Gästebücher Kontakt untereinander aufzunehmen. Aber: „Wir sind keine Agentur!“, so Moorkamp über das Projekt. Das Bandnetz wird keine Auftritte vermitteln. Ebenso wenig soll es eine Börse für Proberäume darstellen. „Stattdessen soll die Eigeninitiative der Musiker gefördert werden, indem wir die Rahmenbedingungen liefern“, hält Moorkamp fest. Über den gegenseitigen Kontakt soll ein selbstständiges Netzwerk entstehen. Bands, die einen Proberaum nicht allein finanzieren können, gehen Partnerschaften ein, Auftritte können miteinander arrangiert oder Erfahrungen ausgetauscht werden. Hierbei bleibt es dann allerdings auch.

Ursprünglich war erhofft, dass die Münsteraner Clubs die Website für sich entdecken würden. Schließlich können sie sich hier vermarkten und auch attraktive Acts für ihr Live-Programm finden. Doch hier liegt die noch größte Schwäche des Projekts: „Die Clubs haben es noch nicht begriffen. Unser Ziel war auch, Veranstalter und Musiker zusammenzuführen. Dies ist bis jetzt noch nicht gelungen.“ Trotzdem ist Moorkamp inzwischen sehr zufrieden mit dem Erfolg der Website. So gab doch einige Anlaufschwierigkeiten, nach einem Jahr hatten sich erst 50 Bands angemeldet. Doch nach zwei Umgestaltungen der Website in den Jahren 2005 und 2007 scheint die Seite endgültig angenommen und etabliert zu sein. „350 Bands aus Münster und Umgebung sind angemeldet. Wir spekulieren, dass es in Münster etwa 300 Bands geben müsste. Das ist schon umfassend“, so Moorkamp. Trotz allem bleibt festzuhalten, dass dieser großen Aktivität und Bereitschaft auf Seiten der Bands enorme Passivität auf Seiten der Veranstalter gegenübersteht.

Wer sich das Livemusik-Angebot Münsters anschaut wird bis auf wenige Ausnahmen ziemlich ernüchtert werden. Marcel Märtens, Schlagzeuger der Münsteraner Britrock-Band
Orange, hält fest: „Generell ist es ganz schön schwierig, hier Auftritte zu finden.“ Die 2004 gegründete Band, die im November 2006 ihr erstes Album „(Right) Time Is Always Now“ veröffentlicht hat, gehört mittlerweile zu den Bands mit regelmäßigen Konzerten und Festivals im weiteren Umkreis: „Wir können uns nicht beschweren“. Trotzdem fällt es ihnen schwer, in ihrer Heimatstadt Münster unterzukommen. Marcel Märtens glaubt, dass sich dies vor allem in ihrer Musikrichtung und auch in der vielen Konkurrenz begründet. „Die Veranstalter sehen sich die Anfragen bei der Zahl doch gar nicht mehr richtig an.“ Um hervorzustechen haben es Orange mit einer klassischen Bewerbungsmappe probiert: Demo, Pressetext und Anfrage. Die ging dann an Münsteraner Clubs und Kneipen. „Nix kam zurück. Kein Dankeschön, keine Absage, kein gar nichts.“ In manchen Kneipen, wie der Gorilla-Bar, haben die Bandmitglieder auch persönlich angefragt. „Dann musste man sich anhören, dass die einen nicht wollen, weil man nicht soundsoviele Myspace-Klicks hat. Irgendwann gibt man's dann auf.“

Auch Frank Renner, Sänger von
Ursa Major Space Station (Ursa MSS), bestätigt die triste Szenerie: „Für Rock wird es wohl generell immer schwieriger.“ Ursa MSS, die ihren ersten Auftritt in Münster 1996 im Benno-Haus spielten, gewannen bereits im selben Jahr das NRW-weite Ruhr-Rock-Festival. Nach ihrer Auflösung im Jahr 2002 proben sie derzeit für ihr „Comeback“ im Stile echter Rockgrößen bzw. Rock-Opas. Für Renner ist das Problem, dass in Münster „unbekannte Bands nicht gewollt werden und Bekannte regelmäßig an denselben Örtlichkeiten spielen dürfen.“ Auch der Stil von Ursa MSS, beeinflusst von Stoner-Rockbands wie Kyuss, sei einfach zu unpopulär. Außerdem haben, so Renner, immer mehr „Schuppen dicht gemacht“, in denen Rock live überhaupt gespielt wurde: Die Leeze, an der alten Germania-Brauerei, der Schluckspecht (heutige Gorilla-Bar) oder auch das Malör, das erst in der Jüdefelder Straße und dann am Hüfferstift sein Zuhause hatte. Wenn man das Stadtfest heute betrachtet, ist es auch schwer vorzustellen, dass sie dort einmal aufgetreten sind. „2002, das war großartig!“

Speziell mit dem Gleis 22 verbindet Ursa MSS eine besondere Geschichte: Die haben auf eine Anfrage der Band mit „Jede Band, nur nicht ihr“ reagiert. „Die nehmen lieber irgend 'ne angesagte Garagenband aus der letzten Ecke Finnlands.“

Doch der Spalt in der Tür bleibt für Kellerbands geöffnet. Das eben noch so gescholtene Gleis 22 lobt Orange-Drummer Märtens sehr: „Im Zuge ihres Britrock-Abends werden wir immer wieder angefragt. Veranstalter Frank Dietrich ist dort sehr engagiert.“ In den Jahren 2006 und 2007 sind Orange dort aufgetreten, Ende diesen Jahres wird ein weiterer Auftritt folgen. Und auch Die Leeze könnte als Rocktempel wieder auferstehen. Der
Dining-Hof, der heute an der alten Germania-Brauerei quartiert, scheint eine Alternative zu werden. „Die veranstalten da Rockkonzerte aus der eigenen Tasche, auch wenn's mal nach hinten los geht“, so Märtens. Im Dining-Hof werden auch Ursa MSS im August ihr Comeback feiern. Klingt irgendwie erhellend; es ist einfach zu schade, wenn Rockmusik im muffigen Teppich versackt.



„Wie Motten in das Licht“





Und die Gitarre ist noch warm

 
     
   


 

 

 

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