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Die
Luft knistert, elektrisiert wie vor einem Gewitter. Der dunkle Teppich gibt
unter den Füßen nach und aus den Abdrücken erheben sich graue Staubwolken.
Grüne Veloursmatten, wie vom Billardtisch gerissen, hängen an den Wänden,
dazwischen liegen Eierkartons. Am Boden aufgeschlagene Skizzenbücher,
gerissene Saiten, zersplitterte Drumsticks. Das einzige Licht spendet eine
matte Glühbirne an der Decke. Zuerst ist da nur ein leichtes Knacken in den
Ohren, gefolgt von einem tiefen Brummen in der Magengegend. Die Nackenhaare
stellen sich auf und das anfangs fast unmerkliche Surren im Gehörgang wird
immer lauter. Das Schwingen der Gitarrensaiten erfüllt den Raum. Gerade noch
kann man den Schauer von Vorfreude spüren, bevor die Basedrum mit einem
Donnerschlag den Startschuss für die Schlagseite gibt: Sanktuarium
Proberaum.
Krachende Riffs, schallende Becken und tiefe Bässe sind der Traum vieler
Nachwuchsrocker, die ihre Musik gerne fernab nörgelnder Nachbarn und
Mittagsruhe üben und präsentieren möchten. Doch das der Rockmusik angeborene
Problem ist, um Farin Urlaub von den Ärzten zu zitieren: „Manche nennen es
Musik, doch für die meisten ist es Krach.“ Deshalb muss ausgewichen werden.
Unter Tage wird musiziert. Der Bandkeller ist für viele Bands ein Refugium,
ein Ort von Inspiration und Freiheit. Nur hier können neue Songs probiert,
einstudiert und verfeinert werden und nur hier kann eine Band ihren eigenen
Stil finden. Für die Beatles, Metallica, Die Ärzte und die örtliche
Vorstadtband gilt gleichermaßen: Jeder muss klein im Kellerloch anfangen und
sich seinen Weg ans Licht spielen.
Doch verdreckte Bandkeller und „Sex, Drugs an' Rock 'n' Roll“ im platten
Westfalen? Passt gesellschaftlich und musikalisch lautstarker Protest in die
Münsteraner Idylle? Zugegeben, Münster ist nicht das London der 70er Jahre,
man findet hier auf den ersten Blick keine Sex Pistols oder The Clash. Doch
abseits vom Schlossgarten oder dem eher gemütlichen Stadtfest gibt es eine
belebte Indie-Szene, die ihren Ursprung in Münsters studentischem Charakter
hat und ein großes musikalisches Spektrum abbildet. Folk, Country und
Britrock haben hier ebenso ihren Platz wie Metal, Crossover und Punk. Diese
große und aktive Szene buhlt natürlich untereinander um Platz und
Aufmerksamkeit, sprich Auftritte, Proberäume und auch Musiker.
Ausdruck dessen ist die Internetplattform
muensterbandnetz.de.
Hier können sich Bands aus Münster und Umgebung organisieren und auch
vermarkten. 2002 wurde das Netz von der Musik-Initiative des
Jugendinformations- und beratungszentrums der Stadt Münster (Jib) ins Leben
gerufen. Hinter der Initiative verbirgt sich die Zusammenarbeit von elf
Bands, die gemeinsam die Proberäume unterhalb des
Gleis 22 mieten,
das ebenfalls Teil des Jib ist. „Ziel war es, den jungen Musikern aus dem
Münsterland Präsentationsmöglichkeiten für sich und ihre Musik zu bieten“,
erklärt Bernd Moorkamp, der für Idee und Konzept verantwortlich ist. Die
Bands können sich online porträtieren, Links zu ihren eigenen Websites
legen, ihre nächsten Auftritte bewerben und über Foren und Gästebücher
Kontakt untereinander aufzunehmen. Aber: „Wir sind keine Agentur!“, so
Moorkamp über das Projekt. Das Bandnetz wird keine Auftritte vermitteln.
Ebenso wenig soll es eine Börse für Proberäume darstellen. „Stattdessen soll
die Eigeninitiative der Musiker gefördert werden, indem wir die
Rahmenbedingungen liefern“, hält Moorkamp fest. Über den
gegenseitigen Kontakt soll ein selbstständiges Netzwerk entstehen. Bands,
die einen Proberaum nicht allein finanzieren können, gehen Partnerschaften
ein, Auftritte können miteinander arrangiert oder Erfahrungen ausgetauscht
werden. Hierbei bleibt es dann allerdings auch.
Ursprünglich war erhofft, dass die Münsteraner Clubs die Website für sich
entdecken würden. Schließlich können sie sich hier vermarkten und auch
attraktive Acts für ihr Live-Programm finden. Doch hier liegt die noch
größte Schwäche des Projekts: „Die Clubs haben es noch nicht begriffen.
Unser Ziel war auch, Veranstalter und Musiker zusammenzuführen. Dies ist bis
jetzt noch nicht gelungen.“ Trotzdem ist Moorkamp inzwischen sehr zufrieden
mit dem Erfolg der Website. So gab doch einige Anlaufschwierigkeiten, nach
einem Jahr hatten sich erst 50 Bands angemeldet. Doch nach zwei
Umgestaltungen der Website in den Jahren 2005 und 2007 scheint die Seite
endgültig angenommen und etabliert zu sein. „350 Bands aus Münster und
Umgebung sind angemeldet. Wir spekulieren, dass es in Münster etwa 300 Bands
geben müsste. Das ist schon umfassend“, so Moorkamp. Trotz allem bleibt
festzuhalten, dass dieser großen Aktivität und Bereitschaft auf Seiten der
Bands enorme Passivität auf Seiten der Veranstalter gegenübersteht.
Wer sich das Livemusik-Angebot Münsters anschaut wird bis auf wenige
Ausnahmen ziemlich ernüchtert werden. Marcel Märtens, Schlagzeuger der
Münsteraner Britrock-Band
Orange, hält fest: „Generell ist es ganz schön
schwierig, hier Auftritte zu finden.“ Die 2004 gegründete Band, die im
November 2006 ihr erstes Album „(Right) Time Is Always Now“ veröffentlicht
hat, gehört mittlerweile zu den Bands mit regelmäßigen Konzerten und
Festivals im weiteren Umkreis: „Wir können uns nicht beschweren“. Trotzdem
fällt es ihnen schwer, in ihrer Heimatstadt Münster unterzukommen. Marcel
Märtens glaubt, dass sich dies vor allem in ihrer Musikrichtung und auch in
der vielen Konkurrenz begründet. „Die Veranstalter sehen sich die Anfragen
bei der Zahl doch gar nicht mehr richtig an.“ Um hervorzustechen haben es
Orange mit einer klassischen Bewerbungsmappe probiert: Demo, Pressetext und
Anfrage. Die ging dann an Münsteraner Clubs und Kneipen. „Nix kam zurück.
Kein Dankeschön, keine Absage, kein gar nichts.“ In manchen Kneipen, wie der
Gorilla-Bar, haben die Bandmitglieder auch persönlich angefragt. „Dann
musste man sich anhören, dass die einen nicht wollen, weil man nicht
soundsoviele Myspace-Klicks hat. Irgendwann gibt man's dann auf.“
Auch Frank Renner, Sänger von
Ursa Major Space Station (Ursa
MSS), bestätigt
die triste Szenerie: „Für Rock wird es wohl generell immer schwieriger.“
Ursa MSS, die ihren ersten Auftritt in Münster 1996 im Benno-Haus spielten,
gewannen bereits im selben Jahr das NRW-weite Ruhr-Rock-Festival. Nach ihrer
Auflösung im Jahr 2002 proben sie derzeit für ihr „Comeback“ im Stile echter
Rockgrößen bzw. Rock-Opas. Für Renner ist das Problem, dass in Münster
„unbekannte Bands nicht gewollt werden und Bekannte regelmäßig an denselben
Örtlichkeiten spielen dürfen.“ Auch der Stil von Ursa MSS, beeinflusst von
Stoner-Rockbands wie Kyuss, sei einfach zu unpopulär. Außerdem haben, so
Renner, immer mehr „Schuppen dicht gemacht“, in denen Rock live überhaupt
gespielt wurde: Die Leeze, an der alten Germania-Brauerei, der Schluckspecht
(heutige Gorilla-Bar) oder auch das Malör, das erst in der Jüdefelder Straße
und dann am Hüfferstift sein Zuhause hatte. Wenn man das Stadtfest heute
betrachtet, ist es auch schwer vorzustellen, dass sie dort einmal
aufgetreten sind. „2002, das war großartig!“
Speziell mit dem Gleis 22 verbindet Ursa MSS eine besondere Geschichte: Die
haben auf eine Anfrage der Band mit „Jede Band, nur nicht ihr“ reagiert.
„Die nehmen lieber irgend 'ne angesagte Garagenband aus der letzten Ecke
Finnlands.“
Doch der Spalt in der Tür bleibt für Kellerbands geöffnet. Das eben noch so
gescholtene Gleis 22 lobt Orange-Drummer Märtens sehr: „Im Zuge ihres
Britrock-Abends werden wir immer wieder angefragt. Veranstalter Frank
Dietrich ist dort sehr engagiert.“ In den Jahren 2006 und 2007 sind Orange
dort aufgetreten, Ende diesen Jahres wird ein weiterer Auftritt folgen. Und
auch Die Leeze könnte als Rocktempel wieder auferstehen. Der
Dining-Hof, der
heute an der alten Germania-Brauerei quartiert, scheint eine Alternative zu
werden. „Die veranstalten da Rockkonzerte aus der eigenen Tasche, auch
wenn's mal nach hinten los geht“, so Märtens. Im Dining-Hof werden auch Ursa
MSS im August ihr Comeback feiern. Klingt irgendwie erhellend; es ist
einfach zu schade, wenn Rockmusik im muffigen Teppich versackt. |
„Wie Motten in das Licht“
Und die Gitarre ist noch warm
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