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Es ist dunkel. Eine Schwärze
erfüllt den kargen Raum, der unter der Erde Münsters liegt. Hier unten
gibt es keine Fenster. Tageslicht findet keinen Zugang. Das Klingeln der Fahrräder, die täglich auf
Münsters Straßen unterwegs sind, kommt hier unten nur als dumpfer Widerhall
an. Graue Betonmauern, die sich gegen den ständigen Druck der Erdmassen
wehren, isolieren diesen Ort vom regen Treiben, das sich über ihm ereignet.
Die einzige Verbindung zur Außenwelt bildet eine Rampe, die in einem steilen
Winkel an die Oberfläche tritt. Das schwache Neonlicht über dem Notausgang
leuchtet einsam vor sich hin. Es ist kalt. Kunststoffgeruch erfüllt die
Luft. Plötzlich: tok tok. Und wieder tok, tok, tok. Ein Geräusch das immer
näher kommt. Ein Geräusch, das entsteht, wenn Absätze auf den Steinboden treffen.
Schritte.
Wir befinden uns etwa zehn Meter unterhalb des belebten Bahnhofsvorplatzes in der Radstation
am Hauptbahnhof in Münster, dem Arbeitsplatz von Mathis Wimber, 24. Hier
schraubt er jeden Tag von früh bis spät an kaputten Fahrrädern. „Dass ich
Handwerker werden wollte, wusste ich schon als Kind“, erzählt Wimber und
wischt sich dabei seine ölverschmierten Hände an seinem dunkelblauen T-Shirt
ab. Den Schraubenschlüssel in der Hand, beginnt er eine Mutter nach der
anderen festzuziehen, wobei dem gebürtigen Hiltruper einige Schrauben aus
den Taschen seiner grauen Hose fallen. Sein Gesicht ist blass. Man sieht
Mathis Wimber sichtlich die Arbeit unter Tage an. „Natürlich wirkt sich mein
Job auf meinen Körper aus. So komme ich zum Beispiel leichter ins Schwitzen
und schneller außer Atem als früher“. Auf die Frage, ob er den nicht lieber
die Fahrräder im Tageslicht reparieren wollen würde, schüttelt er vehement
den Kopf. „Hier unten bin ich ungestört und kann mich ganz auf meine Arbeit
konzentrieren. Ich möchte ja auch in Zukunft meinen Meister machen und dann
die Stelle hier übernehmen“, sagt Wimber. Es scheint, als zöge er den
verrosteten Schraubenschlüssel als Beweis seiner Einstellung aus einer
seiner Hosentaschen. Auf die Funktionalität seiner Arbeitskleidung
angesprochen, sagt Wimber: „Hier unten kommt es nicht auf Schönheit an,
sondern darauf, dass es praktisch ist.“
Die Radstation: Stellplatz für 3.300 Leezen, Werkstatt und Fahrradverleih.
Außerdem: kulturelle Sehenswürdigkeit der Fahrradhauptstadt.
Gemeinsamkeiten zwischen der Radstation und einem gewöhnlichen
Fahrrad-Geschäft sind nicht von der Hand zu weisen. Der Unterschied: hier
werden lediglich gebraucht Fahrräder zum Kauf angeboten, da zum Verkauf
neuer Räder die Präsentationsfläche fehlt. Ob neu oder alt, klein oder groß,
aus Münster oder sogar aus dem Ausland — alle Fahrräder finden in der
Radstation eine sichere, kameraüberwachte und trockene Unterkunft auf Zeit.
„Jedes Fahrrad“ so sagt Mathis Wimber, „ist individuell“, während er das
erste Fahrrad seiner heutigen Nachmittagsschicht in die Werkstatt schiebt.
Kraftvoll hebt er nun das zu reparierende Rad auf die Vorrichtung, um es
dann per Knopfdruck in die optimale Reparaturhöhe, auf Brusthöhe, zu fahren.
„Ab und zu fällt der Strom aus. Dann ist es stockdunkel“, erzählt Wimber.
Er muss sich dann von dem nervösen Auf- und Abblinken des Notstromaggregats
den Weg weisen lassen.
Er dreht sich kurz um und lässt seinen Blick durch die Werkstatt schweifen:
Hammer, Handy, Handcreme liegen griffbereit.
Er hält kurz inne, wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn
und merkt an, dass nicht nur die Räder unterschiedlich sind, sondern dass man
auch oft auf jeden Besitzer individuell eingehen muss. Manchmal müsse man
sich erst persönliche Probleme und ihr „gefährliches Halbwissen“ über die
Schäden der Leezen anhören, bevor man sich selbst ein Bild vom Zustand des
Rades machen könne. Er sei somit nicht nur als Fahrradmechaniker in der
Radstation tätig, sondern auch „zwangsweise als Diplompsychologe“.
Während er ein Ersatzteil aus seiner Hosentasche hervor holt, erzählt er
von seinen eigenen Fahrrädern. Er ist im Moment stolzer
Besitzer von dreieinhalb Rädern. Seine Einkäufe erledigt Wimber
beispielsweise mit dem „normalen“ Stadt-Fahrrad. Einkaufstüten werden im
Anhänger transportiert. Vor Diebstahl hat er keine Angst. „Wer wird schon so
ein altes Fahrrad klauen?“, fragt er grinsend. Die anderen Räder werden nur
bei schönem Wetter ausgefahren. Als er sein zweites Rad, ein 50 Jahre altes
NSU-Fahrrad, ein Geburtstaggeschenk, erwähnt, strahlt er über das ganze
Gesicht. Stolz betont er, dass dieses Fahrrad zu 90 Prozent aus Orginalteilen bestehe. Wimber blickt kurz auf und erzählt, dass er sich
neben der Arbeit nun noch ein weiteres Rad aufbaut — ein Mountainbike.
Als er die letzte Schraube festzieht, erwähnt er, dass er keinen
Führerschein hat. Während der Ausbildung konnte er sich den Schein nicht leisten und
heute sieht er darin keine Notwendigkeit mehr. Er ist überzeugter
Fahrradfahrer. „Was sollten denn die Kunden denken, wenn ich jeden Tag mit
dem Auto käme?“
Obwohl sein Herz eher für besondere Fahrräder schlägt, widmet er sich auch
den Klapprigsten unter den Rädern mit Geduld und Hingabe. Diese sind
meistens Zweit- oder gar Dritt-Räder von Studenten oder Pendlern, bei denen
es nur darauf ankommt, dass das Licht funktioniert und die Gangschaltung
ihren Dienst tut.
Nach der Inspektion poliert er noch den Ledersattel, pumpt die Reifen auf
und ölt abschließend sachkundig die Kette. Diese kleinen Handgriffe gehören
für ihn einfach zum guten Service mit dazu.
Zum Abschluss macht er noch eine Probefahrt entlang der Gänge. Da sind die
Räder der Dauerparker in zweistöckigen Ständern untergebracht. Zufrieden
springt er vom Fahrrad ab und stellt dieses in den Gang der Tagesparker.
Bereit für die Abholung. Ein Blick in Richtung Ausgang, dann auf die Uhr und
von hinten zeichnet sich ein zufriedenes Nicken ab. Und seine Schritte
verlieren sich in der Dunkelheit. |
3.300 Fahrräder passen in die Radstation
Bei der Reparatur ist Fingerspitzengefühl gefragt |
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