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Es ist 16 Uhr an einem Donnerstag. Heute spielt Deutschland gegen Portugal,
doch das ist Robert Rüsweg egal. Er übernimmt heute die Spätschicht in der
Tiefgarage am Aegidiimarkt, die von 16 bis 24 Uhr dauert. Für Fußball hat er
dabei keine Zeit. Als Mitarbeiter einer Wach- und Schließgesellschaft wird
er die nächsten acht Stunden damit verbringen, die Kassenautomaten zu
überprüfen, Fragen zu Toiletten, Preisen oder verlorenen Tickets zu
beantworten und natürlich die Monitore zu überwachen. 39 Kameras sind auf
den zehn Parkdecks und im Eingangsbereich installiert. Die Überwachung einer
Tiefgarage hat sich mittlerweile vollständig über die Erde verlagert und die
Parkplatzwächter sind angewiesen, die Parkdecks so selten wie möglich selbst
aufzusuchen.
Parkdeck Eins ist weiß gestrichen und hat, um es von den anderen besser
unterscheiden zu können, eine breite, gelbe Bordüre an den Wänden. Es liegt
zwar unterirdisch, aber durch das Treppenhaus dringt noch Licht durch die
Glastüren zu den Parkplätzen. Leute hasten zwischen den Autos hin und her
und die Fahrstühle sind im Dauerbetrieb. In den ersten beiden Parkdecks
befinden sich auch die Frauenparkplätze. Mit dem Tageslicht mischen sich die
Neonröhren. Sie geben ein künstliches, aber angenehm helles Licht ab.
Die ersten Parkdecks sind voll. „Viele Leute trauen sich nicht, tiefer unter
der Erde zu parken. Die fahren bis zum vierten Deck und drehen um, wenn sie
nichts finden“, erzählt Rüsweg. Er hat dafür zwar Verständnis,
nachvollziehen kann er das Angstgefühl, das 90 Prozent der Deutschen in der
Tiefgarage haben, aber nicht. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Mit
Klaustrophobie könnte er seinen Job nicht machen. Seit fünf Jahren überwacht
er den Ablauf in Parkhäusern und Tiefgaragen in Münster. Zuerst im Parkhaus
Engelenschanze und dann, als die Stelle wegrationalisiert wurde, am
Aegidiimarkt. Das war vor einem Jahr. „In zehn Jahren sitze ich hier auch
nicht mehr, dann werden alle Parkhäuser von einer Zentrale überwacht. Das
Kamerasystem arbeitet ja auch einwandfrei“ sagt Rüsweg und schaut schnell
wieder zu den Bildschirmen. Unten im Parkhaus hat jemand die Sprechanlage
betätigt. Einer der Bildschirme zeigt sofort das dazugehörige Kamerabild. Im
dritten Untergeschoss findet jemand sein Auto nicht mehr wieder.
Auf dem dritten Deck riecht es nach Benzin und die Luft ist warm und bewegt
sich kaum noch. Trotz der vielen Lampen bleibt das beklemmende Gefühl, schon
tief unter der Erde zu sein. Viele, die hier parken, wollen so schnell wie
möglich wieder nach draußen. Rüsweg hört geduldig zu. Die meisten Notrufe
aus dem Parkhaus kommen von Leuten, die ihr Auto nicht wieder finden. In den
fünf Jahren seiner Dienstzeit hat er noch nie einen Autodiebstahl oder auch
nur ein geklautes Radio zu melden gehabt. „Ein bis zweimal am Tag gibt es
leichte Blechschäden, dann wollen die Leute die Kamerabänder haben, aber wir
zeichnen hier bei so vielen Kameras natürlich nicht auf“. Der
Parkplatzwächter verständigt die Polizei und hat dann nichts mehr mit der
Sache zu tun. „Das Schlimmste an der Arbeit sind die Langeweile und die
Müdigkeit.“ Starker, schwarzer Kaffee und Zigaretten gehören deshalb zum
Wachalltag wie selbstverständlich dazu. Die Spätschicht ist anstrengender,
weil fast nichts passiert. Tagsüber ist so viel zu tun, so dass man
automatisch wach und konzentriert bleibt.
Die Tiefgarage hat über 750 Stellplätze und liegt zentral, aber heute ist
schon ab acht Uhr alles ruhig. Gegenüber der Wachzentrale eröffnet ein neues
Restaurant. „Bei dem Spiel heute werden die wohl kaum noch Kundschaft
bekommen“. Rüsweg behält Recht und hört sich das Spiel selbst auf einem
altmodischen braunen Telefunken-Radio an. Laptops oder Fernseher sind im
Parkhaus streng verboten. So wie alles, was von den fünf großen
Flachbildschirmen ablenken könnte. Der rechts oben zeigt den Eingangsbereich
und die Zentrale.
Wer vor den Bildschirmen steht, kann das seltsame Erlebnis haben, sich
selbst zu sehen, während man sich im Bildschirm beobachtet. „Früher konnte
man auch in die anderen Parkhäuser gucken. Aber Kollegen, denen langweilig
wurde, haben immer nur geschaut, was die anderen gerade machen.“ Jetzt bleibt
der Bildschirm schwarz, wenn man versucht auf die Kameras der andern
Parkhäuser zuzugreifen. Der mittlere Bildschirm ist viergeteilt und zeigt
immer die Kamerabilder eines Parkdecks. Die Bilder wechseln im 15-Sekunden
Takt. 240 mal in der Stunde, 1920 mal während einer Schicht. Gerade zeigt
der Monitor Parkdeck sieben. Es ist fast völlig leer. Hier unten riecht es
wie in fast allen Parkhäusern: nach abgestanden Abgasen, alten Ledersitzen
und hier sogar ein bisschen nach Urin. Die Tür zum Treppenhaus fällt zu.
Ohne die vielen Autos hallt das Geräusch so laut nach, dass man
zusammenzuckt. Oben in der Zentrale hat ein dezentes Piepen eingesetzt. Eine
kleine Fläche auf dem Bildschirm links unten, die vorher noch gelb war, hat
sich rot gefärbt. An einem Kassenautomaten gibt es eine Kartenstörung. Der
Automat nimmt keine EC-Karten mehr an. Um das zu beheben, muss Robert Rüsweg
nicht mal aufstehen. Mit drei Eingaben auf der Tastatur lässt sich die
Störung beheben und wenn mal etwas nicht funktionieren sollte, steht immer
ein Techniker auf Abruf bereit. Der Techniker, der heute Dienst hat, sitzt
gerade hinten in der Zentrale und trinkt Kaffee. „Das System läuft einfach
zu gut, wir haben noch weniger zu tun als die Aufseher“ sagt er.
Die kurzen Besuche sind für die beiden einer der wenigen Höhepunkte während
der Arbeitszeit. „Wenn ich Spätschicht habe, sehe ich meine Frau die ganz
Woche lang kein einziges Mal, sagt Robert Rüsweg. „Das Familienleben leidet
natürlich sehr“. Auch deshalb macht er lieber die Frühschicht, in den Wochen
kommt er fast gleichzeitig mit seiner Frau nach Hause, die ebenfalls
berufstätig ist. Früher war er noch selbstständig. 20 Jahre lang hatte er
eine eigene, kleine Lebensmittelspedition. Bis er dann mit 44 Jahren einen
Schlaganfall erlitt. Ein ganzes Jahr lang war er arbeitsunfähig und die
Firma ging bankrott. Nachdem er alle Firmenangelegenheiten geklärt hatte,
sagten ihm die Ärzte, dass er es ruhiger angehen lassen solle. „Ich hatte
mir überlegt: Wachmann, das ist ein ruhiger Job, kann man mal machen. Und
seitdem sitze ich hier.“
Inzwischen ist es elf Uhr. Das Spiel ist vorbei und von der Hauptstraße hört
man leises Hupen und Grölen. Dann wird es wieder still. Nur das Summen der
Computerlüftung und vereinzelte Schritte draußen vor der Zentrale sind zu
hören. Robert Rüsweg geht vor die Tür, um sich die letzte Zigarette für
heute Nacht anzuzünden. Er meint, dass er zu viel raucht. Auch im Parkhaus
ist es ruhig geworden. Ganz unten im zehnten Stock, der im Notfall in einen
Bunker mit eigener Luft- und Stromversorgung umgewandelt werden kann, steht
kein einziges Auto mehr. Jetzt betrifft Rüsweg zum ersten Mal für heute das Parkhaus, um die
Ticketleser an den Schranken auszulehren. Das Geld aus den Kassenautomaten
wird in den Tresor gebracht. Der Tagesumsatz eines Parkhauses dieser Größe
beläuft sich auf rund 10.000 Euro und der Betrag wird von Rüsweg ordentlich
ins Kassenbuch eingetragen.
Noch 56 Kamerawechsel bis Dienstschluss. Um zwölf Uhr verlässt Rüsweg die
Zentrale zum zweiten Mal. Er fährt die Aufzüge an die Oberfläche und wartet
geduldig, bis die letzten Nachzügler ihre Tickets bezahlt haben, um dann die
Kassenautomaten zu verschließen und mit schweren Vorhängeschlössern zu
sichern. Im ersten und zweiten Parkdeck werden die Eisengitter vor den
Einfahrten langsam und scheppernd herunter gelassen. In der Zentrale
schaltet Rüsweg das System auf Nachtbetrieb und meldet sich per Telefon bei
der Wache ab. Ein Mann in brauner Cordjacke läuft auf die Zentrale zu. Es
ist Viertel nach Zwölf, aber er muss unbedingt noch sein Auto abholen. Für
diesen Fall steht eigentlich eine Notrufnummer an der Glasscheibe, doch bis
jemand kommt, dauert es lange. 22 Euro kostet die Verspätung normalerweise.
Rüsweg schließt den Kassenautomaten noch einmal auf und wartet, bis der Mann
mit seinem Wagen das Gitter der Ausfahrt passiert hat. Der Mann ist
sichtlich froh, dass er das Geld gespart hat und noch schnell nach Hause
fahren kann. Robert Rüsweg darf das jetzt auch. |
Robert Rüsweg an
seinem Arbeitsplatz
Einfahrt zur Tiefgarage am Aegidiimarkt
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