ERDGESCHOSS

  UNTERWEGS IN MÜNSTERS UNTERGRUND | EIN SEMINARPROJEKT AM INSTITUT FÜR KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT | UNIVERSITÄT MÜNSTER

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TEAM  -12    
 
IMPRESSUM  -13    
 
     TEXT UND BILDER: MERLE BRADE  
         

Es ist 16 Uhr an einem Donnerstag. Heute spielt Deutschland gegen Portugal, doch das ist Robert Rüsweg egal. Er übernimmt heute die Spätschicht in der Tiefgarage am Aegidiimarkt, die von 16 bis 24 Uhr dauert. Für Fußball hat er dabei keine Zeit. Als Mitarbeiter einer Wach- und Schließgesellschaft wird er die nächsten acht Stunden damit verbringen, die Kassenautomaten zu überprüfen, Fragen zu Toiletten, Preisen oder verlorenen Tickets zu beantworten und natürlich die Monitore zu überwachen. 39 Kameras sind auf den zehn Parkdecks und im Eingangsbereich installiert. Die Überwachung einer Tiefgarage hat sich mittlerweile vollständig über die Erde verlagert und die Parkplatzwächter sind angewiesen, die Parkdecks so selten wie möglich selbst aufzusuchen.

Parkdeck Eins ist weiß gestrichen und hat, um es von den anderen besser unterscheiden zu können, eine breite, gelbe Bordüre an den Wänden. Es liegt zwar unterirdisch, aber durch das Treppenhaus dringt noch Licht durch die Glastüren zu den Parkplätzen. Leute hasten zwischen den Autos hin und her und die Fahrstühle sind im Dauerbetrieb. In den ersten beiden Parkdecks befinden sich auch die Frauenparkplätze. Mit dem Tageslicht mischen sich die Neonröhren. Sie geben ein künstliches, aber angenehm helles Licht ab. Die ersten Parkdecks sind voll. „Viele Leute trauen sich nicht, tiefer unter der Erde zu parken. Die fahren bis zum vierten Deck und drehen um, wenn sie nichts finden“, erzählt Rüsweg. Er hat dafür zwar Verständnis, nachvollziehen kann er das Angstgefühl, das 90 Prozent der Deutschen in der Tiefgarage haben, aber nicht. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Mit Klaustrophobie könnte er seinen Job nicht machen. Seit fünf Jahren überwacht er den Ablauf in Parkhäusern und Tiefgaragen in Münster. Zuerst im Parkhaus Engelenschanze und dann, als die Stelle wegrationalisiert wurde, am Aegidiimarkt. Das war vor einem Jahr. „In zehn Jahren sitze ich hier auch nicht mehr, dann werden alle Parkhäuser von einer Zentrale überwacht. Das Kamerasystem arbeitet ja auch einwandfrei“ sagt Rüsweg und schaut schnell wieder zu den Bildschirmen. Unten im Parkhaus hat jemand die Sprechanlage betätigt. Einer der Bildschirme zeigt sofort das dazugehörige Kamerabild. Im dritten Untergeschoss findet jemand sein Auto nicht mehr wieder.

Auf dem dritten Deck riecht es nach Benzin und die Luft ist warm und bewegt sich kaum noch. Trotz der vielen Lampen bleibt das beklemmende Gefühl, schon tief unter der Erde zu sein. Viele, die hier parken, wollen so schnell wie möglich wieder nach draußen. Rüsweg hört geduldig zu. Die meisten Notrufe aus dem Parkhaus kommen von Leuten, die ihr Auto nicht wieder finden. In den fünf Jahren seiner Dienstzeit hat er noch nie einen Autodiebstahl oder auch nur ein geklautes Radio zu melden gehabt. „Ein bis zweimal am Tag gibt es leichte Blechschäden, dann wollen die Leute die Kamerabänder haben, aber wir zeichnen hier bei so vielen Kameras natürlich nicht auf“. Der Parkplatzwächter verständigt die Polizei und hat dann nichts mehr mit der Sache zu tun. „Das Schlimmste an der Arbeit sind die Langeweile und die Müdigkeit.“ Starker, schwarzer Kaffee und Zigaretten gehören deshalb zum Wachalltag wie selbstverständlich dazu. Die Spätschicht ist anstrengender, weil fast nichts passiert. Tagsüber ist so viel zu tun, so dass man automatisch wach und konzentriert bleibt.

Die Tiefgarage hat über 750 Stellplätze und liegt zentral, aber heute ist schon ab acht Uhr alles ruhig. Gegenüber der Wachzentrale eröffnet ein neues Restaurant. „Bei dem Spiel heute werden die wohl kaum noch Kundschaft bekommen“. Rüsweg behält Recht und hört sich das Spiel selbst auf einem altmodischen braunen Telefunken-Radio an. Laptops oder Fernseher sind im Parkhaus streng verboten. So wie alles, was von den fünf großen Flachbildschirmen ablenken könnte. Der rechts oben zeigt den Eingangsbereich und die Zentrale.

Wer vor den Bildschirmen steht, kann das seltsame Erlebnis haben, sich selbst zu sehen, während man sich im Bildschirm beobachtet. „Früher konnte man auch in die anderen Parkhäuser gucken. Aber Kollegen, denen langweilig wurde, haben immer nur geschaut, was die anderen gerade machen.“ Jetzt bleibt der Bildschirm schwarz, wenn man versucht auf die Kameras der andern Parkhäuser zuzugreifen. Der mittlere Bildschirm ist viergeteilt und zeigt immer die Kamerabilder eines Parkdecks. Die Bilder wechseln im 15-Sekunden Takt. 240 mal in der Stunde, 1920 mal während einer Schicht. Gerade zeigt der Monitor Parkdeck sieben. Es ist fast völlig leer. Hier unten riecht es wie in fast allen Parkhäusern: nach abgestanden Abgasen, alten Ledersitzen und hier sogar ein bisschen nach Urin. Die Tür zum Treppenhaus fällt zu. Ohne die vielen Autos hallt das Geräusch so laut nach, dass man zusammenzuckt. Oben in der Zentrale hat ein dezentes Piepen eingesetzt. Eine kleine Fläche auf dem Bildschirm links unten, die vorher noch gelb war, hat sich rot gefärbt. An einem Kassenautomaten gibt es eine Kartenstörung. Der Automat nimmt keine EC-Karten mehr an. Um das zu beheben, muss Robert Rüsweg nicht mal aufstehen. Mit drei Eingaben auf der Tastatur lässt sich die Störung beheben und wenn mal etwas nicht funktionieren sollte, steht immer ein Techniker auf Abruf bereit. Der Techniker, der heute Dienst hat, sitzt gerade hinten in der Zentrale und trinkt Kaffee. „Das System läuft einfach zu gut, wir haben noch weniger zu tun als die Aufseher“ sagt er.

Die kurzen Besuche sind für die beiden einer der wenigen Höhepunkte während der Arbeitszeit. „Wenn ich Spätschicht habe, sehe ich meine Frau die ganz Woche lang kein einziges Mal, sagt Robert Rüsweg. „Das Familienleben leidet natürlich sehr“. Auch deshalb macht er lieber die Frühschicht, in den Wochen kommt er fast gleichzeitig mit seiner Frau nach Hause, die ebenfalls berufstätig ist. Früher war er noch selbstständig. 20 Jahre lang hatte er eine eigene, kleine Lebensmittelspedition. Bis er dann mit 44 Jahren einen Schlaganfall erlitt. Ein ganzes Jahr lang war er arbeitsunfähig und die Firma ging bankrott. Nachdem er alle Firmenangelegenheiten geklärt hatte, sagten ihm die Ärzte, dass er es ruhiger angehen lassen solle. „Ich hatte mir überlegt: Wachmann, das ist ein ruhiger Job, kann man mal machen. Und seitdem sitze ich hier.“

Inzwischen ist es elf Uhr. Das Spiel ist vorbei und von der Hauptstraße hört man leises Hupen und Grölen. Dann wird es wieder still. Nur das Summen der Computerlüftung und vereinzelte Schritte draußen vor der Zentrale sind zu hören. Robert Rüsweg geht vor die Tür, um sich die letzte Zigarette für heute Nacht anzuzünden. Er meint, dass er zu viel raucht. Auch im Parkhaus ist es ruhig geworden. Ganz unten im zehnten Stock, der im Notfall in einen Bunker mit eigener Luft- und Stromversorgung umgewandelt werden kann, steht kein einziges Auto mehr. Jetzt betrifft Rüsweg zum ersten Mal für heute das Parkhaus, um die Ticketleser an den Schranken auszulehren. Das Geld aus den Kassenautomaten wird in den Tresor gebracht. Der Tagesumsatz eines Parkhauses dieser Größe beläuft sich auf rund 10.000 Euro und der Betrag wird von Rüsweg ordentlich ins Kassenbuch eingetragen.

Noch 56 Kamerawechsel bis Dienstschluss. Um zwölf Uhr verlässt Rüsweg die Zentrale zum zweiten Mal. Er fährt die Aufzüge an die Oberfläche und wartet geduldig, bis die letzten Nachzügler ihre Tickets bezahlt haben, um dann die Kassenautomaten zu verschließen und mit schweren Vorhängeschlössern zu sichern. Im ersten und zweiten Parkdeck werden die Eisengitter vor den Einfahrten langsam und scheppernd herunter gelassen. In der Zentrale schaltet Rüsweg das System auf Nachtbetrieb und meldet sich per Telefon bei der Wache ab. Ein Mann in brauner Cordjacke läuft auf die Zentrale zu. Es ist Viertel nach Zwölf, aber er muss unbedingt noch sein Auto abholen. Für diesen Fall steht eigentlich eine Notrufnummer an der Glasscheibe, doch bis jemand kommt, dauert es lange. 22 Euro kostet die Verspätung normalerweise. Rüsweg schließt den Kassenautomaten noch einmal auf und wartet, bis der Mann mit seinem Wagen das Gitter der Ausfahrt passiert hat. Der Mann ist sichtlich froh, dass er das Geld gespart hat und noch schnell nach Hause fahren kann. Robert Rüsweg darf das jetzt auch.



Robert Rüsweg an seinem Arbeitsplatz




Einfahrt zur Tiefgarage am Aegidiimarkt

 
     
   


 

 

 

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