KUNST? WO?
Kommentar und Foto:
Daniel Drungels
Vielleicht bin ich
zu jung für die „Skulptur Projekte“.
Ich verstehe das Konzept der Ausstellung nicht. Und ich weiß, dass es vielen
ähnlich geht, die zur Zeit der ersten „Skulptur Projekte“ 1977 noch nicht
geboren waren. Dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Kunst,
Öffentlichkeit und städtischem Umfeld geben soll, wirkt auf uns befremdlich.
Die Frage nach der Funktion von Kunst im öffentlichen Raum, die 1977
Ausgangspunkt der Ausstellung war, stellt sich für uns nicht mehr.
Kunst sollte frei sein, ihre eigene Sprache sprechen. Mit anderen Worten:
Kunst versteht keiner. Das wissen wir und haben es akzeptiert. 1977, als
Claes Oldenburg Münster als einen überdimensionierten Poolbillardtisch
interpretierte, stieß er damit in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis.
Kunst und Öffentlichkeit sprachen nicht dieselbe Sprache.
Viele
Münsteraner waren nicht damit einverstanden,
öffentliche Gelder für etwas zu verwenden, das
offensichtlich keine Funktion hatte und obendrein noch hässlich war. Also
versuchte man, Oldenburgs Kugeln
im Aasee zu versenken.
Damals kam sozusagen das emanzipatorische Potenzial der Öffentlichkeit im
Habermasschen Sinne zum Ausdruck.
Das ist heute nicht mehr denkbar. Man ist daran gewöhnt, nichts
mehr zu verstehen. Also warum noch aufregen?
Alles ist digitalisiert, globalisiert und ungeheuer kompliziert. Jeder ist
mit jedem vernetzt und doch allein. Damit etwas zum Aufreger werden kann,
muss es öffentlich bekannt sein und Konfliktpotenzial
besitzen. Aber wer will denn heute noch ernsthaft über Kunst diskutieren?
Nicht im Traum würde der Nullbockgeneration einfallen,
Mark Wallingers
Angelschnur zu durchtrennen, um seine „Zone“ zu entgrenzen.
Zumindest nicht aus Protest oder Widerspruch.
Aufmerksamkeit ist in einer
ausdifferenzierten Medien-gesellschaft wie der unseren ein knappes Gut.
In den Medien wird mit harten Bandagen um dieses Gut
gekämpft. Mit Documenta und Biennale haben die „Skulptur Projekte“ zudem
zwei prominente Konkurrenten im Ringen um die Aufmerksamkeit der
Kunstbegeisterten dieser Welt. Die nämlich gilt es zu locken. Der gemeine
Münsteraner joggt früher oder später eh an den Skulpturen vorbei,
bewusst oder unbewusst.
Einer der größten Konkurrenten um Aufmerksamkeit ist die Werbung, die sich
seit den 80ern der Themen, Bilder und Ausdrucksformen der Kunst
bedient. Die Ästhetisierung von allem zur sinnlichen Verführung
mit dem Zweck der Absatzsteigerung ist hier nur ein Beispiel. Kunst
eindeutig als solche wahrzunehmen, wird für den Betrachter schwieriger. Das
gilt in besonderem Maße für die Kunst im öffentlichen Raum, den
Innenstädten, die mit Werbung zugepflastert sind. Wer nicht weiß, dass die
„Blume für Münster"
von Marko Lehanka Geschichten vom Tod erzählt, könnte
denken, dass es sich um eine elektronische Reklametafel handele. Insofern
hat die Kuratorin Brigitte Franzen Recht mit der Behauptung, dass sich der
Begriff des öffentlichen Raums überlebt hat.
Dass man aber stattdessen jetzt
von Kunst im öffentlichen Auftrag beziehungsweise
öffentlichem Interesse spricht, finde
ich fragwürdig. Die Sanierung der Toilettenanlage am Domplatz kann, laut
Künstler
Hans-Peter Feldmann, als eine Dienstleistung
für die Öffentlichkeit verstanden werden. Was möchte uns der Künstler damit sagen?
Ist das die Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner? Dass alle mal
müssen? Ist das die totale Funktionalisierung der Kunst zum Zwecke des
Stadtmarketings? Die völlige Selbstaufgabe?
Der notwendige Toilettengang
soll zur zwanglosen Selbstverständlichkeit im städtischen Alltag werden. Das
erreicht Feldmann durch farbige Fliesen, hochwertige Badkeramik und
pointierte Lichtführung. Was hätte wohl ein Sanitärbetrieb getan? In meinem
Verständnis von Kunst müssten die Schüsseln zumindest von der Decke hängen.
Erst dann käme ich auf die Idee, dass es sich nicht um Villeroy und Boch-Standardmodelle handelt. Denn die Freiheit der Kunst besteht doch im
Wesentlichen darin, sich nicht den üblichen Funktionslogiken zu unterwerfen,
sondern sie herauszufordern und zu hinterfragen.
Da wirkt es beinahe sarkastisch, wenn
Kurator Kasper König sagt, die 5,25
Millionen Euro aus öffentlichen Kassen machten die „Skulptur Projekte“ 2007
widerstandfähig gegen Mechanismen von Werbung und Kunstmarkt.
Kunst im öffentlichen Raum bedeutet anno 2007 nur noch, dass
sie im Freien stattfindet. Der öffentliche Raum
besitzt keine demokratische Qualität mehr, die ihn
als solchen ausweist. Lediglich Mülltonnen und gelben Säcke deuten im
städtischen Umfeld hin und wieder auf seine Existenz hin, auf ein
letztes Areal, das noch nicht privatisiert wurde. Wie
kleine Leuchttürme markieren sie die verbliebenen Inseln städtischen
Eigentums. Vielleicht ist ja das die Funktion von Kunst im öffentlichen
Raum.
Daniel Drungels,
geboren im August
1982 in Geesthacht, studiert seit 2005 in Münster Politikwissenschaft,
Kommunikations-wissenschaft und Philosophie im Magister-Studiengang. Seine kreativ-künstlerische Ader
lässt ihn für die Hiphop-Band „Satans fette Beute“ an Text- und
Sprachbausteinen feilen. Erste journalistische Gehversuche unternahm er bereits in der
Schulzeit. Die „Skulptur Projekte“ haben ihn in seiner Annahme bestätigt,
dass Kunst immer das ist, was sie zu sein vorgibt.
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