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MODERNER MINNESÄNGER FÜR
MÜNSTER




Text: Marvin Staufenberg
Foto: Presseamt Stadt Münster, Angelika Klauser



Auf dem Prinzipalmarkt ist wenig los,  obwohl gestern die „Skulptur Projekte“ begonnen haben. Der Ansturm verteilt sich wohl gut, bei 34 Skulpturen, die von 36 Künstlern in der ganzen Stadt verteilt wurden, gibt es viel zu sehen. Seit 1977 findet das Kultur-Großereignis alle zehn Jahre statt. Am Anfang begleitet von starken Protesten der Münsteraner, war es 1997 „endgültig in der Stadt und bei ihren Bürgern angekommen“, wie das Magazin zur Ausstellung verrät. Bei den Bürgern angekommen – stellt sich die Frage, ob das auch für die Blume aus Surfbrettern gilt.

Schließlich steht Marko Lehankas Skulptur im Allerheiligsten von Münster, dem Prinzipalmarkt. Gerade übrigens im ZDF unter die beliebtesten Orte Deutschlands gewählt. Darauf ist man stolz in der Stadt, die von Besuchern oft immer noch als ein wenig spießig und kleinbürgerlich beschrieben wird.

„Eine super Idee, ganz klasse“, findet Bernd Schuhmacher den Standort der Skulptur. Der Münsteraner ist begeistert vom Kontrast zu den historisch wirkenden Gebäuden des Prinzipalmarktes, den die Blume als „Hingucker“ schafft. Und seine Frau fügt hinzu: „Gerade haben wir uns unterhalten, dass wir es mutig fänden, wenn die Stadt Münster das hinterher stehen lassen würde!“

Norbert Kaufmacher sieht das etwas anders. Auf die Frage nach „Bereicherung oder Verschandelung“ der alten Fassaden sagt der Münsteraner: „Beides, es ist eine Bereicherung, aber auch gut, wenn es wieder verschwindet. Das eine schließt das andere ja nicht aus, die Leute gucken sich das an.“ Und nach einer Pause: „Kunst muss ja nicht schön sein.“

Gestört werden die Gespräche ab und zu von Bussen und Taxifahrern, die sich ihren Weg durch die Kunstfreunde vor der Skulptur bahnen. Der Verkehr ist hier sonntags nicht sehr stark, in der Hektik der Woche geht die Konzentration auf die Geschichten, die die Blume erzählt, sicher verloren. „Gut, dass der Text auf dem Bildschirm steht“, hört man einen Passanten zu seinen Begleitern sagen. „Die spricht ja so leise!“

Doch die Fahrradfahrer finden wie immer einen Weg durch die Menschentraube. 

Einer von ihnen ist Bernd Bußmann, stolzer Ur-Münsteraner. Er und seine Frau halten an und betrachten die Skulptur aus größerer Entfernung. Als „optisch ganz ansprechend, im Sinne von Abwechslung“ bezeichnen die beiden, was sie dort stehen sehen.

„Verschandelung der Fassade ist ja Quatsch“, bekomme ich als Antwort, als ich wegen des Standorts auf dem Prinzipalmarkt nachbohre. „Als Aktion für einen überschaubaren Zeitraum ist das durchaus okay, aber die nächsten 20 Jahre muss das hier nicht stehen!“

Marko Lehanka, Erschaffer der „Blume für Münster“, lässt mich kurz darauf per Handy wissen, dass wir uns um 16 Uhr an seiner Skulptur zum Gespräch treffen können. Passt gut, jetzt ist es halb zwei und ich kann die Zeit für einen kleinen kulturellen Stadtrundgang nutzen.

Überall wird man an die aktuelle Ausstellung erinnert. Es fährt ein Stadtwerke-Bus mit großer Terminaufschrift vorbei, Plakatwände sind mit Hinweisen gepflastert, auf dem Domplatz stehen die Leute an, um das renovierte öffentliche WC von Hans-Peter Feldmann zu bewundern – auch ein Projekt aus diesem Jahr.

Halb vier. Ich gehe eine halbe Stunde zu früh in Richtung der Blume um ihren Geschichten zu lauschen und noch ein paar Fotos zu schießen.

Punkt 16 Uhr ist auch Marko Lehanka da, allerdings nicht alleine. Die Kaufleute vom Prinzipalmarkt bekommen von ihm eine Führung als Dankeschön für ihre Unterstützung.

Der Künstler aus der Nähe von Frankfurt erklärt ihnen die Entstehung der Blume aus Surfbrettern, die seine Assistentin an Ort und Stelle zersägen musste, als er sie an einem Baggersee erstand. „Sonst hätten sie nicht in den Wagen gepasst“, fügt er hinzu. Danach seien die Hälften wie einzelne Module zusammengesteckt worden.

„Weshalb haben Sie sich als Standort das historische Zentrum Münsters ausgesucht?“, möchte ich wissen. „Das historische Zentrum hat mich gar nicht fasziniert, hier sind einfach die meisten Menschen“, antwortet er freundlich, aber bestimmt. „Ein Geschichtenerzähler gehört unter Menschen, wie früher jeder Minnesänger im Mittelalter schon auf dem Marktplatz stand, damit möglichst viele Leute seine Geschichten hören.“  So gehöre der Geschichtenerzähler als Informationsvermittler nun mal genau hier hin.

Das empfindet Renate Komäscher aus Osnabrück genauso. Die Rentnerin, die wie viele andere auch mit dem Rad vorbei kommt, hätte kein Problem damit, wenn die Skulptur das ganze Jahr stehen bleiben würde: „Ich finde die sehr lustig!“, erzählt sie.

Aber so denkt ja nicht jeder.

Nach meinem Hinweis auf einige Standort-Kritiker erläutert Lehanka seine Sichtweise: „Die Skulptur passt sich hier wunderbar ein in die Hintergrundfassade, weil sie einfach selbst wunderhübsch ist. Aber es gibt immer Leute, die einen anderen Geschmack haben.“

So etwa Manfred Otten. Der Besucher aus Schleswig empfindet die Blume gegenüber der Kulisse „als einen gewissen Abfall“. Er bemerke ein Bemühen des Künstlers, vermisse aber drehende Blütenblätter. Mit den Texten lasse sich außerdem wenig anfangen, „aber die sollen wohl auch zur Verstörung dienen“.

„War das ihre Intention, ein so kontroverses Kunstwerk zu schaffen um die Meinungen der Menschen zu spalten?“ „Ich kann ja nicht sagen wie die Leute da drauf reagieren, ich beschäftige mich schon zu lange mit dem Werk, das ist eher ein Nebeneffekt“, antwortet Lehanka fast ein wenig entrüstet.

Derweil erzählt seine Blume unentwegt Geschichten mit Münster-Bezug. Eingespeiste Begriffe und Namen aus der Region werden durch die von ihm entwickelte Software zu Geschichten von drei bis zehn Minuten Länge gesponnen. Die grammatikalisch falschen Sätze konstruieren so etwa die Story von M. aus Münster, der eine rote Unterhose trägt und am Syndikatplatz mit seiner Katze lebt. „Jede Geschichte ist anders, sie wiederholen sich nie“, erklärt Lehanka die Funktionsweise den Kaufleuten. „Am Ende jeder Geschichte stirbt die Hauptperson.“

Ich erinnere mich an die Aussage von Manfred Otten: „Verstörend.“ Stimmt. Anscheinend aber nicht tief greifend genug. Denn sonst wären wohl nicht so viele Besucher, darunter viele Münsteraner, so positiv auf die Skulptur zu sprechen. Das Kultur-Großereignis ist wohl wirklich „endgültig in der Stadt und bei ihren Bürgern angekommen“.

„Dieses Werk ist meine Arbeit momentan, und die kommt niemals zum Stillstand. Jede Skulptur von mir ist Fundament für die nächste Arbeit und kein Abschluss. Es ist ein Teil meiner Arbeit, die ich seit 25 Jahren mache – ein momentaner Stand der Dinge“, sagt Lehanka zur letzten Frage, ob er auf dieses Werk besonders stolz sei.

Auf dem Heimweg erinnere ich mich an den Satz, den er vorhin noch auf den Rekorder gesprochen hatte: „Die Skulptur ist so zu verstehen wie sie hier ist, was man hier sieht reicht für das Verständnis.“ Dann ist ja gut. Viel einfacher als gedacht. Irgendwie verstörend. Aber trotzdem in der Stadt und bei ihren Bürgern angekommen.



Marvin Staufenberg, geboren 1985 in Münster. Abitur im Jahr 2004, anschließend zehn Monate Zivildienst. Im Jahr 2005 Praktikum beim Sat.1-Automagazin, hauptsächlich im Bereich Redaktion. Seit Oktober 2006 Studium der Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im Frühjahr 2007 Praktikum bei der Baugenossenschaft Freie Scholle eG in der Öffentlichkeitsarbeit. „Bislang habe ich mich mit Kunst nicht so stark auseinander gesetzt. Durch die ‚Skulptur Projekte’ betrachte und beurteile ich sie nun anders als zuvor, wirkliches Interesse an Kunst hat die Ausstellung bei mir jedoch nicht geweckt.“



Der Künstler Marko Lehanka vor seiner Blume für Münster




 
 
 

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