EIN WEG OHNE ZIEL
Text und Foto: Alix Heselhaus
Der polnische Künstler Pawel
Althamer hat für die
„Skulptur Projekte“ in Münster einen Trampelpfad
anlegen lassen. Er will damit auf die
gedankenlose Nutzung
vorgeschriebener Wege hinweisen.
Rund einen Kilometer führt Althamers
Weg durch Wald und Wiesen. Dann endet
er abrupt in
einem Feld. Der Fußgänger muss selbst entscheiden,
wie es weitergehen soll.
Auf die Idee sei Althamer gekommen, weil ihm bei seinem Besuch in
Deutschland vor allem die Regelhaftigkeit des Straßenverkehrs aufgefallen
sei. Als ungewohnt empfand er es, dass sich jeder nur dort fortbewege,
wo es vorgesehen sei. Niemand scheine auf die Idee zu kommen, auch
andere Wege einschlagen zu können.
Am Aasee, dem Münsteraner Erholungsgebiet in der Stadt, kommen
Spaziergänger aus diesem Grund mit der Natur kaum in Kontakt. Von den
angelegten Wegen aus ist sie sichtbar, doch betreten wird sie nur selten.
Althamer schafft mit seinem Trampelpfad eine Alternative: Einen Weg, der
wegführt von vorgefertigten Spazierwegen
und hinein in die nahe Natur. Ein Weg, der kein Ziel hat.
Die Fußgänger verlassen die gewohnte Umgebung und finden sich auf einer matschigen Entdeckungsreise durch Münsters Felder
wieder, scheinbar zufällig angelegt. Begibt man sich auf
Althamers Trampelpfad, macht man sich auf den Weg zurück in die
Kindheit. Damals lief man umher, um die Welt zu entdecken. Und nicht, um
anzukommen.
Der Trampelpfad beginnt an einer Wegkreuzung am Aasee. Er läuft einige Meter
parallel zu einem der Wege über eine Wiese. An Guillaume
Bijls
Archäologischer Stätte kommt man vorbei, dann läuft man ein gutes
Stück am Rand der Grünflächen. Der Pfad endet an einer Straße. Eine erste
Probe: gibt man auf? Auf der anderen Straßenseite führt er weiter, dann wird
es abenteuerlicher.
Der Pfad schlängelt sich durch ein Weizenfeld. Schon ist
von der Stadt nichts mehr zu sehen und zu hören. Hier wird der Pfad
unübersichtlich. Man überquert ein Feld und gelangt an eine Brücke,
die über einen kleinen Bach führt. Die Brücke sieht aus, als wäre sie
unbedacht zusammengehauen worden. Ein romantisches Gebilde aus groben
Brettern und Ästen. Dennoch wackelt sie
nicht. Man merkt: der Trampelfad ist
kein Zufall, sondern ein Kunstwerk: Die Bauaufsichtsbehörde
hat für die Sicherheit der Abenteurer zu sorgen. Die von Althamer
vorgelegte Konstruktion war den Beamten zu wackelig.
Jetzt sieht die Brücke nur noch wackelig aus, trägt aber
jeden.
Hinter der
Brücke führt der Pfad an einer Baumgruppe vorbei und ins nächste Feld.
Dann verschwindet er und die meisten Besucher machen kehrt und folgen
Althamers Pfad in umgekehrter Richtung bis zum Anfang. Auf die Frage, ob das Ziel des Künstlers verfehlt
sei, weil nun dieser Trampelpfad gedankenlos genutzt wird, antwortet ein
amerikanischer Besucher: „No, because you
are not going
anywhere, you are just walking around“. Seiner Meinung nach ist der Pfad ein
voller Erfolg. Auch ein anderer Besucher berichtet,
dass er sich tatsächlich in die Kindheit zurück versetzt
fühle. Solche Streifzüge wolle er nun häufiger unternehmen,
auch ohne Anleitung. Die nahe Baumgruppe hat allerdings keiner der beiden
bestiegen, obwohl sie dazu einlädt. Die Gesichter derjenigen, die
aus Althamers Experiment zurück sind, sehen erschöpft und begeistert
aus. Man hat etwas erlebt.
Je mehr Menschen diesen Pfad betreten, desto fester wird er.
Ein natürlicher Trampelpfad benötigt zumeist Jahre, bis er dauerhaft
sichtbar bleibt. Althamers Trampelpfad ist dagegen in
sehr kurzer Zeit entstanden. Nachdem er
maschinell ausgehoben wurde, haben ihn tatsächlich mehrere
Gruppen fest getrampelt.
Zuletzt waren rund 20
Grundschüler engagiert worden, um den Pfad zu begehen. Ein
Alter, in dem man Trampelpfade noch zu schätzen weiß.
Alix Heselhaus,
geboren 1984,
studiert deutsche Philologie, Kommunikationswissenschaft und Psychologie im Magisterstudiengang. Das Projekt zur Skulptur-Ausstellung ist ihre erste
journalistische Arbeit. Dementsprechend war das Projekt eine interessante neue
Erfahrung, die ihr einen tieferen Einblick in zeitgenössische Kunst und
journalistisches Arbeiten geliefert hat. Insbesondere Althamers Kunstwerk
hat ihr gezeigt, dass Kunst auch direkt erfahrbar sein kann, ohne die
übliche in Museen vorzufindende Distanz. |
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