IN DIE IRRE GEFÜHRT?
Text und Foto: Florian Siebelmann
Auf den ersten Blick ist es augenscheinlich, dann wieder nicht. Die
Betrachter stehen am Rande der Grube und fragen sich nach dem tieferen Sinn
des Objektes von Guillaume Bijl mit dem Titel „Archaeological Site“. Das der Kirchturm in der Grube
ein Bauwerk der
„Skulptur Projekte“
ist, wissen sie. Deswegen sind sie ja auch hergekommen: die
Kunstinteressierten und die, die es noch werden wollen.
Das lässt auch schon
die fest installierte Brüstung erahnen; und das durch den Spritzbeton
imitierte Erdreich. Aber beim genaueren Durchlesen der
Hinweistafel kommen einige dann doch ins Grübeln. Steht hier doch,
dass es sich bei der Spitze des Gotteshauses um die Rekonstruktion einer
neoromanischen Kirche von 1860 handeln soll, deren Reste hier einst im Zuge
erforderlicher Ausgrabungsarbeiten zu Tage kamen. Spätestens jetzt hat
Guillaume Bijl sein Ziel erreicht, nämlich den Betrachter über den
aufgeschütteten Kiesweg auf den Holzweg zu führen. Ihm eine vertraute
Situation und funktionierende Orte vorzuspielen und diese dann gleichzeitig
als reine Schauobjekte zu entlarven. Eine vermeintliche Realität wird von
ihm ad absurdum geführt. Die Kuratorin der
„Skulptur Projekte“, Carina Plath, bringt es auf den Punkt: „Guillaume Bijl bedient
unsere Schaulust und enttäuscht sie zugleich.“ Doch wer sich bereits auf
dem Kiesweg zum eigens aufgeschütteten Hügel auf den Aawiesen, den Titel
einmal genauer vor Augen führt, könnte die Intuition des Künstlers erahnen.
Mit „Sorry-Installation“ entschuldigt sich Bijl quasi schon mit dem Titel
für die falschen Assoziationen beim Zuschauer. Dieser merkt
das allerdings meist erst im Nachhinein. Oder aber auch gar nicht, so wie
eine Schulklasse, die vor der „Ausgrabung“ steht und ihrem Lehrer zunächst
gar nicht glauben will, dass es sich bei dem eingegrabenen Turm um eine
Imitation handelt. Dem zehnjährigen Tobias kommt das ganze dann
aber doch komisch vor: „Normale Gruben haben aber doch immer eine
Holzschalung zur Befestigung am Rand“, meint der Nachwuchs-Archäologe.
Das hatte Bijl auch erst geplant, allerdings hätte die Grube dann vermutlich
nicht die Dauer der 100 Tage Ausstellungszeit überstanden, schließlich zeigt
das geotechnische Bohrprofil von Münster einen Grundwasserspiegel von nur
etwas unter zweieinhalb Metern. Ein Regenguss hätte da schon das vorzeitige
Ende bedeuten können. So ist das Kunstwerk jetzt eigentlich eher ein
technisches Bauwerk als ein Erdloch, so wie es der Künstler eigentlich
geplant hatte. Der ganze Hügel ruht in einer Betonwanne, an der Sohle
gibt es eine Pumpe die die Grube trocken hält. Auch beim typischen Wetter in
Münster. Bereits im Oktober 2005 hatte Bijl die Idee für seinen
eingegrabenen Turm. Als Motiv diente für den Wahl-Münsteraner die Kirche,
die in seiner Heimatstadt Antwerpen von seinem Wohnzimmer aus sichtbar ist.
Bis es allerdings zum ersten Spatenstich im Februar dieses Jahres kam,
hatten die Verantwortlichen der
„Skulptur Projekte“ und der Künstler selbst eine wahre
Odyssee hinter sich, was die Standortwahl betraf. Am „Ludgeri-Kreisel“,
einem Kreisverkehr in Münsters Zentrum, der von Bijl bevorzugt wurde, war es aufgrund von Wasser-, Strom- und
Fernwärmeleitungen nicht möglich, ein großes Erdloch zu graben. Und auch
an drei Alternativstandorten ergaben sich Probleme. „Halb Stadt,
halb Landschaft“ lautete die Vorgabe des Künstlers. An der Sentruper Höhe
wurde man schließlich fündig. Allerdings musste Bijl dadurch ein wenig an
Glaubwürdigkeit einbüßen, denn alteingesessene Münsteraner erblicken sofort,
dass es sich bei dem Kirchturm keinesfalls um einen echten Ausgrabungsort
– auch
nicht als Rekonstruktion
– handeln kann. „Das war hier doch früher, als es
den Aasee noch nicht gab, alles Überschwemmungsgebiet. Ich kann mir beim
besten Willen nicht vorstellen, dass es hier Siedlungen
gegeben hat“, meint Rudolf Kistler. Der Münsteraner erkennt sofort, dass es
sich bei der Hinweistafel um einen „Scherz“ handeln muss. Das Kunstwerk
findet seine Frau dennoch
gelungen.
Als Inszenierung erkannt hat auch Sabine Grüneklee-Herrmann das Projekt.
Auf die Frage, ob es sich aber um einen Nachbau
handelt, konnte sie allerdings nicht genau antworten. „Ich könnte mir schon
vorstellen, dass es sich um eine Rekonstruktion handelt. Viel interessanter
ist aber der Perspektivwechsel, der sich dem Betrachter bietet. Das ist eine
geniale Idee. Wann sieht man schon mal eine Kirche von oben“, erschließt
Sabine Grüneklee-Herrmann neue Interpretationsmöglichkeiten. Als Pastorin hat sie zum Objekt
natürlich auch noch einen ganz anderen Bezug und geht daher noch weiter:
„Die Kirche ist begraben. Es liegt an uns sie wieder auszugraben,“ meint sie
theologisch-philosophisch.
Ebenfalls nichts vormachen konnte Bijl mit seinem Kunstwerk dem Österreicher
Gerald Fischer-Colbrie und seiner Tochter Almuth Neuhauser. Der Linzer ist
begeisterter Kunstsammler und kennt sich in Münster bestens aus. Bei allen
drei zurückliegenden
„Skulptur Projekte“-Veranstaltungen war er zu Gast in der Stadt
am Aasee und hat schon viele Werke betrachtet. Daher ist er auch nicht auf
den Trick von Bijl mit der Bronzetafel vor der Grube hereingefallen. „Es ist
kein echter Kirchturm, kein Nachbau und schon gar nicht neuromanisch.
Zufällig kenne ich mich mit dieser Epoche sehr gut aus, da ich hierüber den
Weg zur Kunst gefunden habe“, so Fischer-Colbrie.
Eine noch weitere Anreise
hat Julian Raxworthy hinter sich. Einen Besuch in den Niederlanden nutzt der
Australier zu einem kurzen Abstecher zu
„Skulptur Projekte“ und auch
zur Documenta in Kassel. Von dem Kunstwerk mit dem eingegraben Kirchturm
zeigt er sich angetan, allerdings interessiert ihn die Absicht des Erbauers
nur wenig. „Darauf kommt es doch gar nicht so an. Viel wichtiger ist doch
der Gesamteindruck und der persönliche Geschmack,“ meint Raxworthy trocken.
Wäre das Kunstwerk von Guillaume Bijl eine Dauerinstallation, so würden sich
Passanten die im nächsten Sommer den Lehrpfad am Aasee entlang schlendern,
bestimmt über den Kirchturm in der Grube wundern. Und wenn sie die Tafel
lesen würden, könnten sie auch bestimmt glauben, dass es sich bei dem Turm,
in dem das ewige Licht leuchtet um den Nachbau eines Originalfundes handelt.
Die
„Skulptur Projekte“ erzeugen dafür dann aber doch zu viel Öffentlichkeit, als dass es Bijl gelingen könnte, den Betrachter wirklich hinters Licht zu führen. Und
auch das ewige Licht wird wohl nicht ewig leuchten, denn falls sich kein
privater Käufer findet, wird der Kirchturm wohl tatsächlich begraben werden
müssen.
Florian Siebelmann
ist Jahrgang
1983 und studiert im zweiten Semester Kommunikationswissenschaft mit
Nebenfach Betriebswirtschaftslehre. Als freier Mitarbeiter im Lokalsport der
Grevener Zeitung hatte er mit Kunst und Kultur im journalistischen Sinne
bislang wenig Kontakt. Durch das Projekt im Rahmen des Seminars ist
er auf die „Skulptur Projekte“ überhaupt erst aufmerksam geworden und hat
dadurch einige interessante Gesamteindrücke sammeln können. |
|