MIT DEM CARAVAN
DURCH VIER JAHRZEHNTE
SKULPTUR PROJEKTE
Text und Foto: Judith Mader
Alle zehn Jahre wird Münster zum
Museum. Die „Kunst im öffentlichen Raum“ lockt seit 1977 Kunstinteressierte
in die Stadt, in deren Straßen sich für einige Monate
westfälische Gemütlichkeit mit dem Flair der internationalen Kunstszene
mischt.
Seit 30 Jahren ist die Stadt in Westfalen neben der Documenta in Kassel die einzige
Ausstellung, die Kunst direkt in der Öffentlichkeit
ausstellt, mitten im Alltag.
Die Münsteraner Ausstellung ist eine Langzeitstudie,
die seit 1977 alle zehn Jahre wiederholt wird. Bei dem Versuch, Kunst in das Stadtbild zu integrieren,
um es für Besucher attraktiver zu machen, haben viele Städte ihre
Innenstädte überladen. „Das allgegenwärtige ‚Kauf-mich’ und ‚Schau-mich-an’ hat dazu geführt, dass sich heutige Künstler oft ‚undercover’
und mit kritischer Distanz der Situation und dem Anspruch von Kunst im
Außenraum nähern,“ erläutert Kuratorin Brigitte Franzen die Motivation der
ausstellenden Künstler.
Veranstalter des Projektes ist das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster.
Hier hat
Ausstellung als „Skulptur 77" ihren Anfang genommen.
Träger der Ausstellung sind der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Stadt
Münster und das Land Nordrhein-Westfalen. Kurator Kasper König, heute Direktor des Museum
Ludwig in Köln, initiierte die Ausstellung 1977 zusammen mit
dem Kunsthistoriker und Kurator Klaus Bußmann.
Der hatte damit auf die Aufregungen um eine abstrakte bewegliche Skulptur
von George Rickey reagiert, die der Stadt geschenkt worden war.
König erinnert sich noch sehr gut an die Anfänge: „Die Stimmung war damals
so aufgeheizt, dass die lokalen Zeitungen wirklich gegen die Kunst Rabatz
gemacht haben. Es war notwendig, Informationen über die sehr komplexe und
nicht unbedingt populäre Geschichte der modernen Skulptur von Rodin bis in
die Gegenwart zu geben.“ So entstand die Ausstellung innerhalb und außerhalb
des Museums.
In 30 Jahren „Skulptur Projekte" hat sich die Ausstellung kontinuierlich
verändert: 1977 war sie vor allem ein Rückblick auf die Geschichte der
Skulptur im 20. Jahrhundert, gleichzeitig aber auch Ausblick auf die
Zukunft. „Skulptur Projekte" 1987 dagegen war der Aufsehen erregende Versuch,
der Kunst einen Platz im Stadtraum, in Geschichte und gesellschaftliche
Aspekte des öffentlichen Lebens zu geben. Erst 1997 schienen die Münsteraner
die Ausstellung vollkommen zu akzeptieren: Man mischte Bilanz und Ausblick,
indem man Erfahrungen aus 20 Jahren Kunst im Öffentlichen Raum, ihre
veränderten Bedingungen und Möglichkeiten darstellte. „Für ‚Skulptur Projekte
Münster 07' interessieren sich die teilnehmenden Künstler
besonders für
den sozialen Raum und loten den Freiraum sowie Eigenwert der
Kunst in unserer Gesellschaft aus“, so Brigitte Franzen.
Große Namen der deutschen Kunstszene wie Joseph Beuys sind eng mit der
Ausstellung verknüpft: 1977 machte er für sein Projekt „Unschlitt"
eine Nachbildung des toten Raumes des ehemaligen Fußgängertunnels zum
Hindenburgplatz aus Rindertalg. Diese „Wärmeskulptur“ aus organischem
Material sollte den Raum gewissermaßen reanimieren. 1987 wollte Beuys mit
seinem ökologischen Projekt „Baumbepflanzung“ an der Ausstellung teilnehmen. Bis heute lebt die Genialität des
1986 verstorbenen Künstlers unter anderem in den riesigen Fettblöcken von 1977 im Berliner
Museum Hamburger Bahnhof weiter.
Eine zweite Chance für seine umgekehrte Pyramide „Square Depression“ bekommt
nach 30 Jahren Bruce Nauman. Der Amerikaner aus Fort Wayne, Indiana, wollte
diese schon 1977 verwirklichen, das Projekt scheiterte damals an der
Finanzierung.
Jetzt sorgt die
große Betonsenke im Innenhof des Naturwissenschaftlichen Zentrums für
Aufregung.
Claes Oldenburg konnte mit den drei „Giant Pool Balls“ auf den Aasee-Terassen
bis in das 21. Jahrhundert einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Wie mir
erzählt wird, ist Münster bekannt für Luftfotografie und Ballonfahrt“,
schrieb Oldenburg in seinem Konzept für die Ausstellung 1977. Die
Geschichten von Bombardements und in der Stadtmauer steckenden Kanonenkugeln
inspirierten den Schweden, überall in der Stadt Kugeln installieren zu
wollen. Realisiert wurden schließlich nur drei,
die vor 30 Jahren noch
Polizeischutz brauchten, als ein Gruppe Studenten sie gerne in den Aassee
geschoben hätten. Heute gehören sie zum Stadtbild.
Außer den Aaseekugeln sind der Stadt etwa 30 weitere Kunstwerke erhalten
geblieben. Teil des „Inventars“ ist inzwischen auch Michael Ashers Caravan.
Seit 30 Jahren steht das gleiche schlichte beige Gefährt (siehe Bild) des amerikanischen
Künstlers während der Ausstellung an zwölf wöchentlich wechselnden
Standorten. Es wird stets so unauffällig platziert, dass es dem Vorbeigehenden nicht
einmal zwingend als Kunstprojekt auffällt. 2007 musste es
erst gestohlen werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen (und ist
zwischenzeitlich wieder aufgetaucht).
Damit bildet der
Caravan womöglich das beste Abbild von 30 Jahren Skulptur Projekte Münster.
Wenn nicht auf den ersten, dann ganz sicher auf den zweiten Blick.
Judith Mader, Jahrgang 1986, studiert
Kommunikations-wissenschaft und Soziologie im Bachelor-Studiengang an der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Nach ihrem Abitur 2005 arbeitete
sie erst als Praktikantin, später als freie Journalistin für den Kölner
Stadt-Anzeiger in der Lokalredaktion Bergisch Gladbach und hospitierte
zwischendurch bei einem lokalen Radiosender. Kunst ist für sie, was auf den
ersten Blick anspricht und auch einem zweiten Blick noch standhält. Deswegen
fand sie schade, dass sich einige Skulpturen der Ausstellung zu gut getarnt
haben. |
Zum vierten Mal dabei: Michael
Ashers Caravan
Im Innenhof der Bezirksregierung ist er
kaum
als Kunstwerk auszumachen |